Antidepressiva zählen zu den Psychopharmaka, die weltweit am häufigsten verschrieben werden. Warum? Ein Blick auf die Gründe, die Vorteile und ungeahnte Nachteile.
Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt an der Schön Klinik Roseneck
Den Artikel bewerte ich auch gemischt, aber es sind viele gute Ansätze drin:
Die Betroffenen sind nicht ausreichend aufgeklärt!
Viele Nebenwirkungen der häufig verordneten Antidepressiva, wie zum Beispiel Übelkeit, sind vergleichsweise harmlos und klingen meist nach einigen Wochen ab. Bei längerfristiger Einnahme über Monate und Jahre sind oft Nebenwirkungen relevant. Dazu gehören eine Verminderung des sexuellen Interesses oder sexuelle Funktionsstörungen, häufiges, insbesondere nächtliches Schwitzen und auch Gewichtszunahme, die manchmal auch ein erhebliches Ausmaß annehmen kann. Auch eine Einschränkung des emotionalen Erlebens kann auftreten („emotional blunting“). Die Erfahrung zeigt, dass vielen der betroffenen Patienten der Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikamentes und diesen Wirkungen gar nicht bekannt oder bewusst ist und auch nicht besprochen wurde, als über die Einnahme des Medikamentes entschieden wurde.
Dies ist insofern kritisch, als Antidepressiva nach längerer Einnahme nicht problemlos abgesetzt werden können, sondern Absetzerscheinungen verursachen (3). Nach jahrelanger Einnahme kann es sogar sehr schwierig werden, Antidepressiva wieder abzusetzen. Diese Absetz-Phänomene wurden erst in den letzten Jahren intensiver in das Blickfeld der Forscher genommen. Hier fehlen aber noch wissenschaftliche Untersuchungen. Es ist zu prüfen, inwieweit nach jahrelanger Antidepressivatherapie Anpassungsvorgänge im zentralen Nervensystem erfolgen. Denn diese könnten das Absetzen besonders schwierig gestalten. Und sie könnten eventuell sogar das Risiko erhöhen, erneut zu erkranken. Diese Unsicherheit über eventuell ungünstige Langzeitwirkungen soll auf jeden Fall ermahnen, auch alternative Möglichkeiten der Therapie, insbesondere Psychotherapie, noch stärker in der Erstbehandlung psychischer Erkrankungen anzuwenden.
https://www.psychosomatik-online.de/wer ... a-gegeben/Kritikpunkt 3: Der Patient entscheidet nicht mit
In der Leitlinie Depression wird auch betont, dass die Entscheidung für ein Therapieverfahren gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden muss. Man spricht von „Partizipativer Entscheidungsfindung“. Dies erscheint im ersten Moment als eine Selbstverständlichkeit. De facto ist es jedoch meist eine Entscheidung des Behandlers, dem der Patient vertrauen wird. Um wirklich gemeinsam eine Entscheidung treffen zu können, bedarf es nämlich ausführlicher Informationen des Patienten, die schon allein aufgrund der begrenzten Gesprächszeit, insbesondere beim Hausarzt, gar nicht möglich ist.
Auf die Bedeutung der gemeinsamen Entscheidungsfindung in der Praxis weist eindrucksvoll eine Befragung unter Ärzten zur Untersuchung zum Verordnungsverhalten von Antidepressiva hin. Die Ärzte wurden befragt, wie sie bei einem typischen Depressionsfall handeln würden und wie sie handeln würden, wenn sie selbst betroffen wären. Während bei einem typischen Depressionsfall 80 Prozent ein Antidepressivum verordnen würden, wollten nur weniger als 40 Prozent selbst ein Antidepressivum einnehmen, wenn sie betroffen wären (2). Dabei ist es ja eine Maxime ärztlichen Handelns darin besteht, dem Patienten die Behandlung zu empfehlen, die man auch bei sich selbst anwenden würde. Hier deutet sich schon an, dass Antidepressiva häufiger verordnet werden, als es der Überzeugung der Behandler entspricht.
PS: Man kann den Artikel kommentieren - wer sich also einbrinen will, kann dort etwas zu seinen Absetzproblematik schreiben! So etwas ist wichtig, damit sowohl Autor als auch Leser sensibilisiert werden.