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Zum Placebo-Antidepressivum Agomelatin (VALDOXAN)

Verfasst: 20.02.2007 13:35
von PhilRS
Die Diskussion um die schlecht belegte Wirksamkeit der SSRI-Antidepressiva (vgl. Lebensgefährliche Plazebos) hat bei der sonst eher pharmafreundlichen EU-Arzneimittelbehörde EMEA offenbar zu einem Umdenken geführt: Das neue "schlaffördernde Antidepressivum" Agomelatin (VALDOXAN) der französischen Firma Servier fiel in der Wirksamkeitsbewertung gnadenlos durch. Der Hersteller hat seinen Widerstand gegen die Ablehnung aufgegeben; das Zulassungsverfahren ruht.[1]

Agomelatin soll über einen neuartigen Wirkmechanismus verfügen und wie das körpereigene Hormon Melatonin mit dessen MT-Rezeptoren interagieren. Allerdings konnte für Melatonin selbst kein eindeutiger schlaffördernder Effekt, geschweige denn eine antidepressive Wirkung gezeigt werden, so dass das Wirkprinzip fragwürdig scheint.[2]

Die Pharma-PR und die Mietpresse feierten das neue Medikament schon in den höchsten Tönen: Es solle ähnlich effektiv sein wie die bekannten SSRI- und SNRI-Antidepressiva, aber so gut wie keine Nebenwirkungen aufweisen.

Das zuständige EMEA-Gremium begründet seine Entscheidung auch nicht mit befürchteten Risiken, sondern mit der nicht nachgewiesenen Wirkung: Der antidepressive Effekt ist so geringfügig, dass ein Inverkehrbringen nicht gerechtfertigt scheint. Wie von anderen "modernen" Antidepressiva bekannt, konnte eine langfristige Besserung unter Agomelatin nicht nachgewiesen werden, und die Wirksamkeit in Kurzzeitstudien lag unwesentlich über der von Scheinmedikament (Placebo).[1] Dadurch würden selbst die "nicht vorhandenen" Nebenwirkungen nicht aufgewogen.

Somit bestätigt der Vorgang eine alte Faustregel der Pharmakologie: Was keine Nebenwirkung hat, zeigt auch keine Hauptwirkung. Die Marketing-Behauptung, dass dieses Placebo-Antidepressivum "genauso effektiv" sei wie Paroxetin, Venlafaxin und andere eingeführte Antidepressiva, deutet wohl am ehesten auf deren mangelnden Nutzen hin.

Die begonnenen Studien mit Agomelatin laufen weiter. Die Firma Servier wird die Zeit nutzen, um weitere Daten zu produzieren[*] und in ein bis zwei Jahren einen neuen Anlauf zur Zulassung unternehmen, wie aus der jüngeren Werbung hervorgeht.

-Philipp-R. Schulz
<hr>

[1] VALDOXAN/THYMANAX: CHMP-Empfehlung (PDF); EMEA, 18.11.2006.
[2] BMJ 2006;332:385-393.

[*] aR/SCHLAGLICHT 2006: Archiv-Artikel folgt.

-- Beitragstitel am 29.01.2008 geändert (war: "EU-Behörde stoppt Placebo-Antidepressivum VALDOXAN")/-PhilRS.

Vorgeschichte

Verfasst: 20.02.2007 16:20
von PhilRS
- aus dem aR-Archiv: SCHLAGLICHT-Vorabmeldung 4/2006 -
MÜLLMEDIKAMENT AGOMELATIN: WIE MAN RESPONSE PRODUZIERT

Derzeit läuft an der Charité eine zulassungsrelevante Studie mit dem Wirkstoff Agomelatin, einem Melatonin-Analogon, das die vermeintlichen Wirkungen des Melatonins auf Schlaf-Wach-Rhythmus, Depressionen/Stimmung, Stresstoleranz etc. in besonders robuster Ausprägung aufweisen soll.

Im Februar 2006 erschien im BMJ ein überzeugendes Review der bisherigen Melatonin-Studien. Daraus ließ sich klar dessen Wirkungslosigkeit ablesen. Dummerweise ist die Zulassung von Agomelatin für die 2. Hälfte 2006 geplant.

Die Charité betätigt sich aktiv in der Produktion von positiven Daten, mit einer eigenen Studie unter intensiver "Hilfe" des Herstellers. Ärzte, die sonst streiken, haben 5 Std. in der Woche allein für die "Briefings" mit der Firma [...] aufzubringen - nicht für die Patienten.

Eine beteiligte Ärztin informiert uns:

Es wird eine Placebo-Run-In-Phase vorgeschaltet. Damit sortiert man die Patienten aus, die von vornherein auf Placebo ansprechen, um das Medikament besser aussehen zu lassen. [...] Es existiert eine interne "Abmachung", wonach Pat., die von selber darauf kommen, dass sie in die Placebo-Gruppe randomisiert wurden, nicht widersprochen wird.

FAZIT der Ärztin:
"Das ist Forschung, die niemand nützt - außer dem Chefarzt".
UPDATE:
Knapper Kommentar derselben Ärztin am 19.02.2007: "Umsonst gefälscht."

(-PhilRS.)

Details zum Scheitern von Agomelatin (VALDOXAN)

Verfasst: 19.12.2007 17:09
von PhilRS
Seit kurzem liegt der vollständige Report der EMEA vor, mit dem die Ablehnung von Agomelatin (VALDOXAN) seinerzeit begründet wurde.[1] Das ADFD beschäftigt sich im Allgemeinen mit zugelassenen Arzneimitteln und deren Folgen; hier ergibt sich allerdings die einmalige Möglichkeit, den Entwicklungsprozess eines neuen Antidepressivums und die Tricks der Hersteller aktuell zu verfolgen.

Eine antidepressive Wirksamkeit ist für Agomelatin entgegen der Werbeaussagen der Firmen Servier und Novartis* nicht belegt. Die Studienlage stellt sich laut EMEA wie folgt dar:

Es wurden zur Testung der Wirksamkeit 6 placebokontrollierte Kurzzeit-Studien an depressiven Patienten durchgeführt, davon eine speziell mit älteren Teilnehmern. Von den 5 erstgenannten hatten 3 ein negatives Resultat (kein Unterschied zwischen Placebo und Agomelatin). Die Studie mit den älteren Patienten fiel ebenfalls negativ aus.

Eine Langzeitstudie über 34+18 Wochen war negativ.

Darüber hinaus gab es 2 Dosisfindungsstudien, die beide keinen Dosis-Wirkungs-Zusammenhang erkennen liessen, und einige weitere Studien (siehe S.17 im EMEA-Report).

Die Studien im Einzelnen (N=Teilnehmerzahl):

CL3-022, N=419, Fluoxetin als Vergleichssubstanz
Kein Unterschied Agomelatin - Placebo nach 6 und 24 Wochen, Fluoxetin wirkte besser.

- Studie nicht publiziert.

CL3-023, N=418, Paroxetin als Vergleichssubstanz
Kein Unterschied Agomelatin - Placebo nach 6 und 24 Wochen, Paroxetin wirkte nicht besser.

- Studie nicht publiziert.

CL3-024, N=607, Fluoxetin als Vergleichssubstanz
Kein Unterschied Agomelatin - Placebo nach 6 und 24 Wochen, Fluoxetin wirkte nicht besser.

- Studie nicht publiziert.

CL3-042, N=238, keine aktive Vergleichssubstanz
Agomelatin besser als Placebo nach 6 Wochen.

- Studie wurde gerade publiziert.[2]

CL3-043, N=212, keine aktive Vergleichssubstanz
Agomelatin besser als Placebo nach 6 Wochen.

- Studie wurde publiziert, unter Verschweigen des Geldgebers Servier und der enormen Interessenkonflikte beider Autoren.[3]

CL3-021, N=367, Langzeitstudie
Placebo numerisch besser als Agomelatin nach 34 und 52 Wochen.

- Studie wurde nicht publiziert.

CL3-026, N=220, ältere Patienten
Placebo numerisch besser als Agomelatin nach 6 und 24 Wochen.

- Studie wurde nicht publiziert.

<hr>

Es fällt auf, dass die grösseren Studien negativ waren und unpubliziert blieben, während die beiden kleineren Marketing-freundlichere Resultate auswiesen und prompt veröffentlicht wurden - wenn auch unter unsauberen Umständen. Um das Bild abzurunden, gibt es mittlerweile auch noch eine so genannte "Meta-Analyse" der positiven Daten, mit der in der Fachöffentlichkeit Stimmung für das wirkschwache Medikament gemacht wird.[4] Sie stammt - wenig verwunderlich - von Stuart A. Montgomery, der im Laufe der Jahre Zuwendungen in Millionenhöhe von Psychopharmakaherstellern erhielt, und von Siegfried Kasper aus Wien, der zu Recht kürzlich den Krusty-the-Klown-Award bekam - für seine unzähligen Werbeeinsätze.

[1] REFUSAL CHMP ASSESSMENT REPORT FOR Valdoxan (PDF)

[2] Int J Neuropsychopharmacol. 2007 Oct;10(5):661-73.

[3] Eur Neuropsychopharmacol. 2006 Feb;16(2):93-100.

[4] Int Clin Psychopharmacol. 2007 Sep;22(5):283-91.


* Servier hat die US-Rechte an Agomelatin an Novartis verkauft. Im Augenblick laufen neue Novartis-Studien mit Agomelatin an, die offenbar den Durchbruch bei den Zulassungsbehörden bringen sollen.

Fortsetzung folgt bestimmt:
-PhilRS.

Update: Servier zieht alle Register

Verfasst: 29.01.2008 18:47
von PhilRS
Laut einer neuen Studie des Agomelatin-Herstellers Servier geht es Patienten schlechter, denen man das Medikament wieder wegnimmt. In der Werbung wird daraus eine "rezidivprophylaktische Wirkung". Derweil kauft die Firma weiter fleißig Experten ein und trickst bei Studienpublikationen.

Jetzt darf er auch mal: Deutschlands Top-Werber unter den Psychiatern, Hans-Jürgen Möller aus München, verbreitet in Laien- und Fachzeitschriften die Heilsbotschaften von Servier. Gemeinsam mit anderen Bezahlexperten macht er sich die Welt, wie sie ihm gefällt: Die Forschung an Agomelatin sei vor 15 Jahren schon einmal eingestellt worden, weil angeblich angesichts der Wirkung Befürchtungen vor den typischen Nebenwirkungen der älteren "Depressiva" aufkamen (man beachte die Freud'sche Wortverwechslung). Das ist natürlich blanker Unsinn - die übrigen neueren Antidepressiva sind sämtlich zugelassen worden, obwohl den Herstellern diverse Risiken wie Aggressions- und Suizidalitätssteigerung bereits bekannt waren.

Hype trotz schwacher Daten

Munition für die Werbetrommel liefert dieses Mal eine bisher nur als Abstract veröffentlichte und damit - außer für die Werbung - nicht beurteilbare Studie zur Rückfallgefahr unter Agomelatinbehandlung.[1] Die Studiendauer war mit nur 6 Monaten deutlich kürzer als bei der gescheiterten Langzeit-Zulassungsstudie CL3-021. Für die Studie wurde das unethische Absetzdesign verwendet,[2] bei dem Placebo benachteiligt wird und das für die Praxis unbrauchbare Daten liefert. Es ist bekannt, dass es Placebo-Respondern in Langzeitstudien ähnlich gut geht wie denjenigen, die dauerhaft Antidepressiva einnehmen.[3] Dieses Risiko wollte Servier offenbar nicht mehr eingehen; eingeschlossen wurden daher lediglich Teilnehmer, die bereits auf Agomelatin-Vorbehandlung angesprochen hatten.

Somit wurde nur gezeigt, dass es Patienten nach dem Ersetzen von Agomelatin durch Placebo schlechter geht - und nicht etwa, dass Agomelatin vor Rückfällen schützt.

Studie "nachregistriert"

Im Zusammenhang mit dem kürzlich aufgedeckten Skandal um die verschwiegenen Negativstudien zu neueren Antidepressiva wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass renommierte Fachzeitschriften Medikamentenstudien nur noch dann veröffentlichen, wenn alle beabsichtigten Untersuchungen öffentlich registriert sind. Servier geht mit diesem Problem auf ganz eigene Weise um: Die beschriebene Langzeitstudie (CL3-041) wurde am 16.03.2007 nachregistriert: zu einem Zeitpunkt also, an dem das positive Ergebnis der offiziell von Februar 2005 bis Juni 2007 laufenden Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit schon feststand - zumindest für die Prüfärzte und deren Firmenüberwacher, die über alle Daten und Zwischenauswertungen verfügten.[4]

Die übrigen, überwiegend negativen Studien aus dem Zulassungsverfahren sind nirgendwo registriert und wären ohne die Veröffentlichung des EMEA-Dokuments nie ans Licht gekommen. Auch das stellt für Servier kein Hindernis dar - für die selektive Publikation der Positivdaten sowie der zugehörigen Werbeartikel etwa von H.-J. Möller gibt es schließlich das Journal International Clinical Psychopharmacology. Mitherausgeber: Stuart A. Montgomery.

Alternativ bietet sich die Zeitschrift European Neuropsychopharmacology an, als deren Mitherausgeber derselbe S.A. Montgomery seine Autoren bittet:
EUROPEAN NEUROPSYCHOPHARMACOLOGY - Guide for Authors hat geschrieben:(...)

Role of Funding Source. Authors are kindly requested to briefly describe the role of the study sponsor(s), if any, in study design; in the collection, analysis and interpretation of data; in the writing of the report; and in the decision to submit the paper for publication. If the funding source(s) had no such involvement, authors should so state.

eg, Funding for this study was provided by NIMH Grant XXXXXXX; the NIMH had no further role in study design; in the collection, analysis and interpretation of data; in the writing of the report; and in the decision to submit the paper for publication.

(...)

The third aspect of the Journal's new policy concerns the Conflict of Interest. ALL authors are requested to disclose any actual or potential conflict of interest including any financial, personal or other relationships with other people or organizations within three (3) years of beginning the work submitted that could inappropriately influence, or be perceived to influence, their work.

Examples of potential conflicts of interest which should be disclosed include employment, consultancies, stock ownership (except for personal investment purposes equal to the lesser of one percent (1%) or USD 5000), honoraria, paid expert testimony, patent applications, registrations, and grants. If there are no conflicts of interest, authors should state that there are none.

eg, Author Y owns shares in pharma company A. Author X and Z have consulted for pharma company B. All other authors declare that they have no conflicts of interest.

[5]
Die Positivstudie von Kennedy und Emsley wurde dort 2006 ohne jegliche Erwähnung der Verbindungen zu Servier gedruckt.[6]

Trübe Aussichten

Wie uns das Werbeblatt "ÄrzteZeitung" mitteilt, ist Agomelatin (VALDOXAN) im September 2007 erneut zur Zulassung bei der EMEA eingereicht worden. Von den früheren Kritikpunkten der Behörde hat Servier laut derzeitiger Informationslage nur einen angegangen: die Langzeitwirkung ist zwar nicht ernsthaft nachgewiesen, aber die Studiensituation sieht auf dem Papier jetzt für die Firma günstiger aus als 2006.

Die EMEA hatte seinerzeit anklingen lassen, auch sekundäre Endpunkte und nachträgliche Analysen als "Wirksamkeitsbelege" zu akzeptieren (siehe S. 25ff. und 29f. im damaligen Ablehnungsbescheid). Das Ergebnis der neuen Beurteilung ist also völlig offen - im Laufe des Jahres 2008 wird sich zeigen, ob die Behörde in der Sache die Interessen des Herstellers oder die der Patienten und Versicherten höher bewertet.

<hr>

[1] ECNP-Kongressabstract 2007, Eur Neuropsychopharmacol 2007;17 (Supplement 4): S361.

[2] J Clin Psychopharmacol. 2007 Apr;27(2):177-81.

[3] J Psychiatr Res. 2007 Nov 23 [Epub ahead of print].

[4] ISRCTN-Registereintrag zur Agomelatin-Studie CL3-S20098-041 (S20098 ist der Servier-Code für Agomelatin).

[5] Guide for Authors, Eur Neuropsychopharmacol (ohne Datum, aufgerufen am 29.01.2008).

[6] Eur Neuropsychopharmacol. 2006 Feb;16(2):93-100.

Exklusiv: Agomelatin-Zulassung verspätet und unsicher

Verfasst: 27.10.2008 09:21
von PhilRS
Hintergründe: zum verschleppten Zulassungsverfahren

Die Zulassungsentscheidung der EMEA zum Agomelatin-Präparat VALDOXAN verzögert sich weiter. Mitte 2008 ist lange vorbei, und seit Jahresanfang haben sich die Prognosen der üblichen Werbeblättchen und von Servier selbst über Herbst 2008 schon auf Ende 2008 geändert, was einen Markteintritt etwa Anfang 2009 bedeuten würde.

Analysten sehen die aktuellen Zulassungschancen für Agomelatin bei 30 Prozent und prognostizieren einen relativ geringen Spitzenumsatz von 200 Mio $ jährlich. Angesichts solcher Aussichten dürfte es für Servier äußerst schwer werden, im Falle einer erneuten Ablehnung von VALDOXAN eine wirtschaftliche Rechtfertigung für einen nochmaligen Anlauf zu finden. Ein ähnlicher Kraftakt, wie ihn Eli Lilly mit Duloxetin hingelegt hat, das trotz jahrelanger Rückschläge und Skandale dank finanzintensivem Marketing mittlerweile Milliarden einfährt, ist der vergleichsweise kleinen Firma Servier kaum zuzutrauen.

Ein prinzipieller Vorteil gegenüber dem kürzlich von der EMEA zurückgewiesenen zweiten Melatonin-Analogon Ramelteon könnte Servier noch nutzen: Agomelatin wird als Antidepressivum bezeichnet und nicht als Schlafmittel, obwohl die meisten Studien die Wirkung auf die Schlafqualität hervorheben. Die Wirkung von Antidepressiva lässt sich bekanntlich kaum von der Placebowirkung unterscheiden. Somit hat Agomelatin immer noch eine grundsätzliche Chance auf Zulassung, auch wenn die vorgezeigten Daten eher eine Placebowirkung belegen. Die Anforderungen der Zulassungsbehörden an künftige Antidepressiva sind derart bescheiden, dass auch Agomelatin durchkommen könnte, obwohl es in 4 von 6 Phase-III-Studien versagte. Die gepoolte Auswertung aller Studien ergab laut EMEA einen Unterschied zu Placebo von 1,55 HAM-D-Punkten, was klinisch definitiv irrelevant ist. Die antidepressive Effektstärke der Substanz liegt bei höchstens 0,18 SMD und damit klar unter der von SSRI und anderen gängigen Antidepressiva (eigene Berechnung, Methodik nach Turner et al).

Preisgekröntes Marketing

Gerade wurden die diesjährigen Nobelpreisträger benannt, da geben Servier und die World Psychiatric Association (WPA) ein Kick-back-Geschäft der ganz besonderen Art bekannt: die Verleihung des Jean-Delay-Preises an Prof. H.-J. Möller. Der nach dem ersten WPA-Präsidenten benannte Preis wird kurzerhand zum "Nobelpreis für Psychiatrie" erklärt, ist aber vergleichsweise mickrig dotiert mit 40.000€. Das liegt vermutlich daran, dass der Stifter - die Firma Servier höchstselbst - keine so weltbewegenden Erfindungen wie Nobel's Dynamit vorzuweisen hat. Ob die Marketingaktivitäten von Prof. Möller für Servier's Agomelatin, über dessen Zulassung die EMEA im gleichen Zeitraum zu befinden hat, eine Rolle bei der Auszeichnung spielten, bleibt im Dunklen. Die Verleihung des Preises brächte im Falle einer Markteinführung von VALDOXAN beiden Seiten finanzielle Vorteile - ein genialer Marketingschachzug, wenn es denn dazu kommt.

Möller hat in seiner Dankesrede Agomelatin nicht direkt erwähnt, nur einige Werbeartikel zitiert. Selbstverständlich hat er nochmals Kirsch et al. abgestraft, und bemerkenswerterweise Stassen & Angst et al. mit ihrer resilience-Theorie erwähnt. Zur Erinnerung: Diese Gruppe hatte festgestellt, dass es keinen Unterschied zwischen Verum- und Placebo-Response in Antidepressiva-Studien gibt.

Das Annehmen von Pharmapreisen ist im Übrigen gängig in den Kreisen der meinungsführenden Psychiater, von Holsboer bis Naber. Das Praktische daran: Man kriegt richtig Geld, muss dann aber nicht unbedingt einen Interessenkonflikt deklarieren, denn es ist eine Jury zwischengeschaltet.

Gut geschmiert ist halb gewonnen

Die Zulassung durch die EMEA hängt von der Empfehlung des Expertengremiums CHMP ab. Das ist für alle Humanarzneimittel zuständig, ob nun für Bluthochdruckmittel oder Osteoporosepräparate oder eben Psychopharmaka. Für die einzelnen Fachgebiete holt es sich dann Spezialisten von außerhalb, im Falle der ZNS-Medikamente ist das eine SAG-CNS genannte "Beratergruppe". Aufgabe der SAG-CNS ist die Abgabe "unabhängiger Empfehlungen" im Zusammenhang mit Zulassungen ("to provide independent recommendations on scientific/technical matters relating to products under evaluation (pre- or post-authorisation) by the CHMP"). Laut deren Regeln sind Firmenbeziehungen unerwünscht und müssten eigentlich angegeben werden. Die Website der EMEA scheint aber in dieser Hinsicht nicht up-to-date zu sein:

Mitglieder der SAG-CNS sind unter anderem
  • Serge Bakchine
  • Timothy G. Dinan
  • Jean Pierre Lépine (Vice-Chair)
  • sowie Hans-Jürgen Möller
    • ...has served as consultant or adviser to Servier and Wyeth, and has received grant/research support from Eisai, Merck, Novartis, Sanofi Aventis, Servier and Wyeth (usw.)
Unter diesen Umständen sind die Chancen für Agomelatin (VALDOXAN) wohl deutlich höher einzuschätzen. Servier hat aus der Niederlage 2006 offenbar gelernt. Prognose: 60% Zulassungswahrscheinlichkeit.

# # # # # #

SOFORT-UPDATE - 27.10.2008
Nun ist es amtlich: Agomelatin (VALDOXAN) wird im Jahr 2008 in keiner Weise mehr erhältlich werden. Das CHMP hat das Thema in seiner Oktober-Sitzung wieder nicht behandelt. Selbst wenn Ende November zur nächsten Beratung eine positive Entscheidung fallen sollte, wäre mit einem Markteintritt wegen des nötigen Prozederes (EU-Kommissionserlass, örtliche Umsetzung, Inverkehrbringen) erst etwa im Februar 2009 zu rechnen.

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:!: Im Augenblick lohnen weitere Ausführungen nicht, da die Zulassung ungewiss ist. Wir werden als einzige unabhängige und kritische Quelle im deutschen Internet dranbleiben und weiter das nötige Kontrastprogramm zu der ausufernden Jubelpropaganda im Netz bieten.

Kurzmeldung: CHMP empfiehlt Zulassung

Verfasst: 21.11.2008 21:07
von PhilRS
Wie die EMEA heute mittag bekannt gab, hat das CHMP gestern Agomelatin (VALDOXAN) eine positive Empfehlung gegeben. Die Studienlage ist so wie oben beschrieben. Ob die eine Langzeitstudie oder der Einfluss der von Servier bezahlten Experten den Ausschlag gaben, lässt sich nicht nachvollziehen.

Der Fahrplan zur Markteinführung steht demnach halbwegs fest (siehe oben). Wann die endgültige Zulassung durch die EU-Kommission erfolgt, ist nicht definitiv zu sagen. An dieser Stelle folgt noch vor der Zulassung eine umfassende Bewertung des kommenden schwach wirksamen Antidepressivums.

Agomelatin gegen Depressionen zugelassen

Verfasst: 25.03.2009 13:38
von mücke
Hallo

PARIS (eb). Die Europäische Kommission hat dem Unternehmen Servier die Zulassung für Agomelatin (Valdoxan®) erteilt.
Es handelt sich dabei nach Angaben des Unternehmens um das erste melatonerge Antidepressivum für die Behandlung erwachsener Patienten mit depressiven Episoden.
Es wirke stark antidepressiv, sei sicher und gut verträglich, heißt es in der Mitteilung des Unternehmens.
http://www.aerztezeitung.de/suchen/defa ... sid=534622

Es wird bereits ausprobiert, sh.: http://www.depri.ch/f12/valdoxan-tagebuch-44148/
Werd das mal verfolgen. Bin gespannt ob es hilft.

Gruss Mücke

Re: Zum Placebo-Antidepressivum Agomelatin (VALDOXAN)

Verfasst: 20.05.2015 01:07
von Oliver
Ich verlinke hier mal eine primitive Spiegelung von Phils großartigem aber schwer zu importierenden Agomelatin-Opus.

Als HTML Artikel hier einsehbar: http://adfd.org/content/agomelatin/agomelatin.html

importiert aus ADFD.wissen

Autor: PhilRs
Erstveröffentlichung: 22.12.2008
Letzte Beareitung: 30.10.2011

@PhilRS. Die Quellen habe ich auch aufbewahrt, falls Du ihn Dir nochmal vornehmen willst und selber ins Forum importieren willst :)