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Antidepressiva machen körperlich abhängiger als man denkt !

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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edgar
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Antidepressiva machen körperlich abhängiger als man denkt !

Beitrag von edgar »

Hallo liebe Foren-Mitglieder,

auch wenn zum Thema Abhängigkeit von Antidepressiva schon hier im Forum viel geschrieben und diskutiert wurde, sehe ich mich dennoch veranlasst, zu dieser Thematik so detailliert wie möglich zu schreiben, unter anderem, weil es immer noch bei der breiten Masse und bei der Ärzteschaft abgelehnt wird, dass Antidepressiva oder Neuroleptika eine Abhängigkeit erzeugen können und damit der Patient vor der Entscheidung, ein solches Medikament zu nehmen, nicht nur in die Irre, sondern auch in die körperiche Abhängigkeit geführt werden kann.

Die Überschrift: "Antidepressiva machen abhängiger als man denkt" ist übrigens ein Zitat von einer Psychiaterin, bei der ich eine Fortbildung gemacht habe. Leider ist jemand wie sie viel zu selten in der Ärzteschaft zu finden.

Erstmal müssen grundsätzlich zwei Begriffe auseinander gehalten werden: Körperliche und psychische Abhängigkeit.

Ich spreche hier von der körperlichen Abhängigkeit, da weder Antidepressiva noch Neuroleptika oder Phasenprophylaktika wie z.B. Lithium ein Verlangen und damit einen zwanghaften Konsum mit Kontrollverlust (psychische Abhängigkeit) erzeugen.

Bei den Tranquilizern (Beruhigungsmittel) und Hypnotika (Schlafmitteln), also den Benzodiazepinen, geht man allgemein anerkannt davon aus, dass diese eine "Abhängigkeit" erzeugen. Gemeint ist hier sowohl eine körperliche als auch eine psychische Abhängigkeit, also ein Verlangen nach der Substanz, auch Sucht genannt.

Nach der Definition im ICD-10, das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen wird, sollte die Diagnose Abhängigkeit nur gestellt werden, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres vorhanden waren:

1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
2. Verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Konsums.
3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch substanzspezifische Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder nahe verwandter Substanzen, um Entzugssymptome zu vermindern oder zu vermeiden.
4. Nachweis einer Toleranz gegenüber der Substanz, im Sinne von erhöhten Dosen, die erforderlich sind, um die ursprüngliche durch niedrigere Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen.
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums sowie ein erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen.

Diese Definition im ICD-10 ist als eine allgemeine Definition für Abhängigkeit nicht akzeptabel, denn damit kann nur Abhängigkeit in Rahmen einer Sucht definiert werden, weil das 3. notwendige Kriterium für die Diagnose "Abhängigkeit" nur erfüllt wird, bei einer vorliegenden Sucht, also einer psychischen Abhängigkeit. Da der Einfluss der Pharmaindustrie sehr groß ist und man auch weiß, dass es Verflechtungen der Pharmaindustrie mit dem Gremium gibt, das die Entscheidung fällt, welche Diagnosen mit welchen Kriterien in das ICD 10 aufgenommen werden, verwundert es nicht, wie die Definition von Abhängigkeit ausgefallen ist. Antidepressiva mit dem Makel der Erzeugung von Abhängigkeit zu vermarkten, wäre sicher schwierig geworden.


Daher ist es dringend notwendig, dass es eine eigenständige Diagnose von "körperlicher Abhängigkeit" gibt, damit jedem Patienten vor der Einnahme eines Medikaments mitgeteilt wird (darauf hat jeder Patient ein Recht): Antidepressiva, Neuroleptika, Phasenprophylaktika (Lithium etc.) und auch Stimulanzien (z.B.) Ritalin haben das Potenzial, eine körperliche Abhängigkeit zu erzeugen.

Hier nun die Definitionen bzw. Kriterien für die Diagnose einer körperliche Abhängigkeit:

Gemäß der Task Force für die Sedativa und Hypnotika (u.a. die Benzodiazepine) der World Psychiatric Association

ist körperliche Abhängigkeit definiert als das Erscheinen von spezifischen Entzugssymptomen, wenn die Medikation abrupt unterbrochen wird.

Das Online Pharmakologie Glossar der Boston University stellt fest, dass Abhängigkeit charakterisiert ist von der Notwendigkeit, die Gabe eines Medikaments fortzuführen, um das Autreten von unangenehmen oder gefährlichen (Entzugs-) Symptomen zu vermeiden.

Und ein Bericht im New England Journal of Medicine bestätigt diesen Nachdruck: Der Gebrauch von dem Begriff "körperliche Abhängigkeit" impliziert,
dass ein objektives Entzugssymdrom auftreten wird, nachdem die Medikamenten-Einnahme abgebrochen wird.


Auf der Basis von diesen Definitionen kann man schlussfolgern, dass alle psychiatrischen Medikamente das Potenzial haben, körperlich abhängig zu machen .

Es wäre mehr als wünschenswert, wenn das die "Fach"Welt endlich mal begreift, anstatt unhinterfragt, nachzubeten, was die Hersteller in die Welt setzen.

Natürlich gibt es auch wieder einen Weg raus aus der körperlichen Abhängigkeit, aber es kann eben ein beschwerlicher und auch harter Weg werden, gerade dann, wenn man ein Medikament längere oder lange Zeit nimmt.

Grüße an alle

edgar
Angehöriger, Dipl.-Sozialpädagoge (FH), seit 2008 Mitarbeiter im ambulanten Betreuten Wohnen für Menschen mit psychischer Erkrankung (u.a. auch Beratung und Unterstützung beim Absetzen von Medikamenten), davor 2 Jahre Mitarbeiter in einer Tagesstätte und 1 Jahr lang in einem Wohnheim (stationäres Wohnen) für Menschen mit psychischer Erkrankung. Seit 2013 Mitglied des Fachausschusses Psychopharmaka der DGSP.
Kassiopeia
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Re: Antidepressiva machen körperlich abhängiger als man denk

Beitrag von Kassiopeia »

Hallo Edgar,

danke für den Tipp, ich hatte es noch nicht gelesen. Ich sehe das genauso. Ich fühle mich auch abhängig von dem Medikament ohne den Drang zu haben es zu nehmen bzw. ein craving zu verspüren. Und ich denke auch, dass es Zeit wird, dass sich die Fachleute zusammensetzen und die Definitionen überarbeiten. Denn das sind Entzugssymptome, die hier am Werke sind und es ist entwürdigend und entmündigend dass die ÄrztInnenschaft den Betroffenen die Urteilsfähigkeit hier völlig abspricht.
Toll aber, dass es auch andere gibt, die nicht nur unreflektiert nachplappern (nach dem Motto: es kann nicht sein, was nicht sein darf), sondern ihrer Beobachtungsgabe und den Schilderungen der PatientInnen Vertrauen schenken, sprich lernfähig sind.
Ich finde super, dass du genau in diesem Bereich arbeitest und hier Betroffene unterstützt. Das ist eine wertvolle Tätigkeit.
Wo hast du diese Weiterbildung gemacht?

Ganz liebe Grüße
Kassiopeia
Diagnose 3/2013: Schwere/mittlere Depression/Burn-Out induzierte D.>>März 2013: Venlafaxin 75 mg>>auf 225 mg
nach Abklingen der NW gut vertragen>>Dezember 2013: Um Tiefs (Schmerzen am ganzen Körper, extreme Schwäche)abzufedern auf 300 mg: stabile Stimmung, jedoch körperlich ständig erschöpft, extrem hohes Schlafbedürfnis und neue NW: "Stöße" am Hinterkopf + kurzzeitig schwankender Gang>>5.2.2014:225 mg Absetzsymptome: Kopfschmerzen, Augenbrennen, Rachenschmerzen, Weinerlichkeit, intensive (auch Angst-) Träume, Nachtschweiß, Kälteschauer, Kribbeln an den Fußsohlen. Positiv: Bin seitdem tagsüber nicht mehr so erschöpft und müde! AS nach etwa drei Wochen abgeklungen>>9.3.2014: Reduktion auf 200 mg. Erst Hochgefühl (manische Phase?) Plötzliche AS nach zehn Tagen: Kopfschmerzen, Augenbrennen, Rachenschmerzen, intensive Träume, Kälteschauer, Tinnitus verstärkt, Müdigkeit, Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Gliederschmerzen, Verspannungen, Pessimismus, Konzentrationsschwäche, Antriebslosigkeit, Gefühl der Überforderung. Dann psychisch eine Besserung, jedoch werden die Krankheitssymptome heftiger: Kopf, Kiefer, Hals, Ohren, Zunge abwechselnd oder gleichzeitig, wechselnd besser und wieder schlechter>>26.4.2014:: 150 mg: Körperliche Schwäche und Gliederschmerzen. Halsschmerzen und Kopfschmerzen abwechselnd. Tinnitus, Müdigkeit. Nach etwa 1 Monat symptomfrei. Dann Tabletten vergessen: Alptraumnacht und massive körperliche Symptome. Wiedereindosiert nach 2 Tagen. Symptome nun wieder wie nach letztem Absetzschritt, mit Ausnahme von Halsschmerzen.
Absetzpause, Reha, Stabilisierung. Neue Diagnose: rezidivierende Depression und somatoforme Schmerzstörung
20.12.2014: Ca. 147,5 mg leichte Absetztsymptome
31.12.2014: Ca. 145 mg die ersten paar Tage nix, dann Schwitzen, Kälteschauer, Gliederschmerzen und Antriebslosigkeit
07.01.2015: Ca. 142,5 mg Schmerzen am ganzen Körper, grippig, morgens total im Eimer
17.01.2015: Ca. 140 mg
19.01: Bakterieller Infekt mit Fieber: Wegen heftiger Muskelzuckungen wieder zurück auf 142,5 mg
02.02. 140 mg
11.02. 137,5 mg
13.03. 132,5 mg
05.04. 127, 5 mg
23.04. 125 mg
27.05. 122,5 mg
10.06. 120 mg
04.08. 117.5 mg
18.08. 115 mg
08.09. 75 mg. hypomanische Phase, Schwitzen, Kälteschauer, Träume, dann Tief mit Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Gliederschmerzen.
03.01. 7 Kügelchen weniger
08.02. 10 Kügelchen weniger
28.02. 15 Kügelchen weniger - also bei etwa 70,8 mg
14.03. 20 - etwas zu früh
Umstellung von morgendlicher Einnahme auf abends
2.5. 25 Kügelchen weniger
15.5. 30 Kügelchen
28.5. 35 Kügelchen
20.6. 40 Kügelchen
14.7. 45 Kügelchen
2.8. 55 Kügelchen - der Schritt war anscheinend zu groß. Enorme Erschöpfung und Schmerzen in den Fingern, Händen, Füßen, Oberarmen, Oberschenkeln, Kribbeln im Gesicht, Halsschmerzen. Jeder Schritt ist anstrengend.
1.9. 60 Kügelchen
20.9. 65 Kügelchen
5.10. -70 Kügelchen :schnecke: :o
16.10. -75 K.
30.10. -80 K.
20.11. -85 K.
20.12. -90 K. - immer noch ca. 50mg to go :frust:
weitergemacht in dem Tempo, bis ich gemerkt habe, dass eine vergessene Dosis mir kaum mehr etwas ausgemacht hat, da hab ich dann immer geschwindelt und bin am nächsten Tag deutlich niedriger eingestiegen.
Ab 1.5.2017 Countdown von 70 Kügelchen, jeden Tag eines weniger
1.7.2017 9 Kügelchen to go
10.07.2017 - 0. Ich bin gereizt und weinerlich, meine Muskeln ziehen, es kribbelt und mir schlafen die Gliedmaßen ein
Monalinde
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Re: Antidepressiva machen körperlich abhängiger als man denk

Beitrag von Monalinde »

Gute Frage, ja, die sich wahrscheinlich wirklich nicht so einfach beantworten lässt

Wie ich finde, gibt es aber eine ganze Reihe von Betroffenen, die unter dem Entzug der Medikamente leiden müssen, weil die Medikamente körperlich abhängig machen. Mir erschließt sich dies dadurch, dass die Betroffenen immer wieder die gleichen Absetzsymptome haben, mich nicht ausgenommen.

Zu kritisieren ist die bedenkenlose Verabeichung dieser hochwirksamen Medikamente, oft schon bei kleineren Verstimmungen. Der ahnungslose Betroffene nimmt sie, in der Hoffnung, dass alles gut wird. Und das ist mitnichten meist nicht der Fall. Weder wird man über mögliche Nebenwirkungen noch über Absetzerscheinungen aufgeklärt. So erging es jedenfalls mir.

Bedenken im Hinblick auf mögliche Entzugserscheinungen werden von den Ärzten oft abgetan, und das auch von Fachärzten, die es besser wissen müssten. Das ist das Erschreckende.

Solange diese Medikamente noch reißend Absatz finden, ich leugne nicht, dass sie manchem auch helfen können, wird wahrscheinlich auch von Seiten der Forschung kaum etwas unternommen, um bessere, weniger gefährliche Medikamente zu entwickeln.

Tatsache ist aber auch, dass sie schaden können, sonst gäbe es dieses Forum nicht, sowohl was die Nebenwirkungen als auch den Entzug anbelangt und zwar nachhaltig, und das ist, was für mich den absoluten Vorrang hat, als Betroffene.

Wenn ich heute noch einmal vor der Wahl stünde, Antidepressiva oder nicht, würde ich mit allen meinen Kräften versuchen, die Sache ohne diese Geschütze durchzustehen.
2005 bis 2010 Einnahme von Remergil 7,5 mg und Trevilor bis zu 37,5 mg,
2010 bis 2012 Trevilor 37,5 mg ausschließlich,
Diagnose: Angst und Depression

Dezember 2012 auf Null abgesetzt, 10 Prozent im Rhythmus von 14 Tagen ( zu schnell)
Seit Dezembe 2012 im protahierten Entzug.
Symptome:
( Tinnitus 2011) , Speiseröhrenentzündung, Reflux, Schleim im Hals saures Aufstoßen seit 2014,
Albträume, Durchschlafstörungen, Erschöpfungszustände, Hautausschläge, Angstzustände,
Gelenkschmerzen, Schwindel, Schüttelfrost, Zwangsgedanken, Ohrwürmer, Neuroemotionen, Durchfälle)

2018:
Hautausschläge, Gelenkschmerzen, Schüttelfrost , Schwindel, verstopfte Nase, Albträume nicht mehr vorhanden, Reflux nur noch selten, Durchschlafstörungen sporadisch bei Stress

Ängste, Tinnitus, Neuroemotionen halten an.
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