zuerst einmal: Ich weiß gar nicht, wie sehr ich euch danken soll!
Ohne eure Hilfe würde ich den Entzug von Anti-depressiva wohl nicht durch stehen.
Lange Zeit habe ich nur mitgelesen, mich informiert. Nun möchte ich euch auch an meiner Geschichte teilhaben lassen.
Bevor ich auf die Absetzsymptomatik eingehe beschreibe ich euch, wie es zu der Medikamenteneinnahme kam.
VORSICHT: Langer Text :P_____________________________________________________________________________________________________
Vorgeschichte
Ich bin nicht bei meiner leiblichen Familie aufgewachsen. Mit knapp 1 Jahr wurde ich adoptiert.
Meine Kindheit war sehr schwierig, ich war ein außenseiterkind. Ich wurde ständig gemobt, weil ich schon damals anders war als die meisten Kinder.
Ich war sehr gutmütig. Diese gutmütigkeit wurde jedoch größtenteils nur ausgenutzt. Ich wurde "verarscht" und beleidigt, konnte als kleines Kind auch nicht begreifen wieso die Welt so ungerecht zu mir war.
Dies kratzte sehr an meinem Selbstbewusstsein. Ich merkte schnell, dass mich eigentlich kaum jemand mag wie ich bin. Also wurde ich zum Einzelgänger, zum Einzelkämpfer.Wenn ich mal "Freunde" hatte basierte die Freundschaft meist nur auf Oberflächlichkeit, was als Kind und Jugendliche jedoch wohl ganz normal zu sein schien.
Jedoch war ich ebend anders. Während andere Kinder spielten, wollte ich bei den Erwachsenen mitreden. Ich wollte die Welt verstehen und stellte Fragen, wieso/weshalb die Dinge in dieser Welt sind wie sie sind.
Meine Situation besserte sich mit der Pubertät etwas. Ich kam mehr aus mir raus, wurde jedoch oft noch aufgrund meines Übergewichts und meiner roten ("orangenen") Haare beleidigt und ausgegrenzt.
Wirklich beliebt wurde ich trotzdem nicht. Freundschaften und Beziehungen hielten nicht lange, da Misstrauen zu den meisten Menschen größer war als das Vertrauen. Es war unmöglich für mich, jemand wirklich zu Vertrauen.
Auch zu meinen adoptiv Eltern konnte ich nie ein Grundvertrauen herstellen, da wir einfach viel zu verschieden waren und ebend die geburtliche Verbindung gefehlt hat.
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Nahe Vergangenheit - Anfang Psychiatrieerfahrung
Mit 16 Jahren begann ich nun, über mich hinaus zu wachsen. Meine Noten in der Schule besserten sich, ich wurde beliebter und konnte mich mehr für Sport begeistern. Ich begann auch, mich heftig mit meinen Eltern zu streiten. Aus dem gutmütigem, braven "Ja"-Sager wurde auf einmal jemand, der sich auch mal wehrte. Da stoß ich bei meinen Eltern und auch bei vielen "Freunden" auf heftigen Gegenwind.
Ab dem 17. Lebensjahr ging es mir jedoch wieder zunehmend schlechter. Mein 1. Besuch in einer Kinder- und Jugendpsychatrie brachte mir die Diagnose "Pubertäre Vestimmung" oder so ähnlich ein.
Nach der Klinik ging es mir für weitere 6 Monate gut bis ich wieder einen Tiefen Absturz in eine Depression hatte.
Nun ging es zum Psychiater, der mir die Diagnose "Bipolare Störung - manisch depressiv" verpasste.
Ich lernte nun auch zum 1. mal eine Erwachsenen Psychatrie kennen.
Von hier an begann auch die Odysee mit den Psychopharmaka und regelmäßigen Klinikaufenthalten.
Tabletteneinnahme
In Reihenfolge, soweit ich mich erinnern kann:
1. Citalopram 20-40 mg - früh wieder abgesetzt, da diese nicht wirklich geholfen haben
Begleitend dazu gab es mal Risperidon und auch Lyrica (Geringe Dosis).
Diese nahm ich jedoch nicht lange, da ich durch diese am nächsten Morgen sehr Müde war.
So müde, dass ich mich kaum wach halten konnte.
Diese Medikamentenphase ging ca. 6 Monate.
2. Nun kamen die Medikamente "Venlaflaxin" und "Lithium" ins Spiel, welche ich insgesamt 9 Jahre lang nahm.
Anfangsdosis: Venlaflaxin 75 mg Morgens, Quilonum retard/Lithium 675 mg Morgens - 900 mg Abends
Ich fühlte ich mich vorerst wohler, jedoch nervte mich das starke schwitzen und die zunehmende Emotionslosigkeit sehr.
So richtig wohl fühlte ich mich auch damit nicht. Meine Eltern konnten sich mein gemecker jedoch nicht mehr anhörem und sagten mir dauernd, dass ich meine Krankheit doch akzeptieren solle. Dies bekam ich dann auch von der Psychaterin zu hören.
Ich hatte oft gesagt, dass ich nicht krank sei, dass ich mich auch mit diesen Tabletten nicht wohl fühle und die Tabletten nicht mehr nehmen möchte. Doch bei meinen Eltern sowie meiner Psychiaterin staß ich auf Granit.
Das einzige was passierte war, dass das die Dosis Venlaflaxin auf 150 mg Morgens hoch gesetzt wurde.
Später kamen noch 75 mg Venlaflaxin Mittags dazu.
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Resüme und Absetzen der Tabletten
"Glücklicherweise" war ich damals sturr und "vergaß" zum Teil, meine Tabletten einzunehmen. Ich erntete oft Kritik von meinen Eltern. Heute weiß ich, warum ich dies gemacht habe und bin sogar stolz darauf.
In den ~11 Jahren der Medikamenteneinnahme war ich 8 mal in der Psychiatrie. Immer als Notfall und immer schwer depressiv.
"Manische"-Phasen hatte ich während der Medikamenteneinnahme nur wenige.
Nun war es Ende des letzten Jahres soweit: Ich sagte meiner Psychiaterin, dass ich die Tabletten absetzen möchte. Sie war ebenso wie meine Eltern nicht begeistert davon. Das war mir glücklicherweise egal. Eine Empfehlung, wie ich die Tabletten absetze, kam von meiner Psychiaterin nicht.
Also informierte ich mich selbstständig im Internet und staß zum Glück auf das Buch "Anti-depressiva Absetzen" von Melanie Müller und Mischa Miltenberger.
Ich reduzierte die Anti-Depressiva innerhalb von 6 Monaten nach der Kügelchen Methode von 150 mg auf 0 mg.
In dieser Zeit war ich ironischerweise als Kurierfahrer im Auftrag eines großen Pharmavertriebhandels tätig.
Absetzsymptome hatte ich wie im Buch beschrieben: Teilweise Übelkeit, "Stromschläge", Gereiztheit...
Quilonum setzte ich ohne abrupt ab (war nicht schön, aber zum Glück nicht schlimm da ich mich vorher etwas erkundigt hatte)
Nach der letzten Tablette im April 2019 ging es mir 3 Monate "gut". Ein Psychiater würde heute sagen: Sie waren manisch.
Da mein Job nicht gut bezahlt war und ich mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden war, wechselte ich den Job zu einem vermeintlich besseren Unternehmen.
Dieses Unternehmen entpuppte sich als totale Ausbeuterfirma. Aus Gründen, auf die ich hier nicht eingehen möchte, bekam ich Verfolgungswahn (welcher begründet war aber natürlich glaubt keiner einem psychisch kranken).
Ich schlief nicht, machte die Nacht durch und begab mich am nächsten Tag auf einen Ausflug mit "Freunden". Ich war sehr müde, döste lediglich 1 Stunde in der Sonne.
Mein Körper war immer in Alarmbereitschaft, ließ mir jedoch vor meinen Freunden nichts anmerken.
Gegen Nachmittag bekam ich eine so große Panikattacke, dass ich dachte ich muss sterben.
Ich wurde mit dem Notarzt ins Krankenhaus eingeliefert und verbrachte dort 4 Stunden.
Die Ärzte fanden natürlich nichts.
Ich schlief dannach insgesamt 13 Stunden.
Meine Hausärztin (zur Psychiaterin hatte ich den Kontakt abgebrochen) verschrieb mir wieder Venlaflaxin weil sie dachte, die "Krankheit" sei zurück. Ich dosierte innerhalb von 2 Wochen auf 75 mg ein, dann jedoch wieder auf 37,5 mg herunter da ich auf 75 mg wieder total emotionslos war.
Meine Hausärztin wiedersprach mir und sagte, dass 37,5 mg zu wenig seien. Ich blieb jedoch sturr und beließ die Dosis auf 37,5 mg, da ich den Entzug durchziehen wollte.
Von nun an ging ich jedoch durch die Hölle. Meine Selbstmordgedanken waren zum Teil sehr sehr stark,weil ich im Prinzip niemand hatte der mir glaubte. Ich hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Es fühlte sich so an, als würde meine Seele aus meinem Körper heraus gleiten.
Ich hatte vorher noch nie ernsthafte Gedanken mich umzubringen, doch nun waren sie plötzlich da.
Glücklicherweise konnte ich mir aufgrund meiner Arbeitslosigkeit sehr viel ruhe gönnen.
Und ja zum Glück wusste ich auch von diesem Forum.
Während meines 1. Absetzversuches hatte ich auch kritische Berichte über Anti-Depressiva auf Youtube gesehen, die von den verstärkten Selbstmordgedanken mit Plänen beschrieben. Es wurde sogar von Selbstmorden berichtet.
Nun konnte ich dies traurigerweise auch nachvollziehen.
Ich blieb stark und wurde belohnt. Es kam zu den "Fenstern", von denen hier oft beschrieben wurde.
Zeitweise gings mir sehr sehr gut, wie befreit. Jedoch holten mich dann nach ein paar Tagen neue Asetzsymptome wie Übelkeit, Rückenschmerzen, Wärmeempfinden im Brustbereich, Zeitweise Muskelschmerzen (Waade und Fuß), Zuckungen in verschiedensten Körperbereichen und Schmerzen beim Wasserlassen wieder ein.
Nun war die Euphorie wieder verflogen. Doch auch diese Symptome wurden besser.
Das schlimmste was ich zwischendurch hatte waren Libidoprobleme. Da hatte ich sehr, sehr große Sorgen das dies so bleibt. Jedoch gab sich das auch nach ein paar Tagen wieder.
Derzeit merke ich, dass mein kurzzeitgedächtnis sehr stark selektiert. Ich hoffe, dass wird noch besser. Vielleicht ist es auch ein Schutz, um Kraft zu sparen.
Ich merke, dass ich vom Charakter her wieder komplett der alte bin. Mit Ecken und kannten, mit guten und Schlechten Seiten.
Ich weiß nun auch, dass meine große Stärke eindeutig im Schreiben liegt (das zeigt auch der lange Text

positiv:
- Mehr Lebensfreude
- Mehr Emotionen
- Jeder Tag ist wertvoll
- weniger schwitzen
- ich werde wieder vor dem Wecker wach
- mehr Selbstbewusstsein
negativ:
- teils noch eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis
- laute Umgebungsgeräusche werden verstärkt wahr genommen -> bedeutet erst einmal stress, an den sich mein Körper wieder gewöhnen muss
- "Verletzlichkeit" gegenüber Aussagen anderer Rücksichtsloser Menschen ist wieder da - arbeite aber daran, mir so etwas nicht mehr gefallen zu lassen
Nun habe ich aber genug geschrieben

Danke fürs zuhören.
Liebe Grüße
Tim