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Erfahrungsbericht: Linda und Jessica

Verfasst: 21.06.2006 20:25
von Oliver
Linda:

Vorgeschichte
Im September 2002 wurde meiner Tochter Jessica empfohlen, in eine Tagesklinik zu gehen, da sie aufgrund eines missglückten Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik völlig durcheinander war. Man hatte sie dort falsch diagnostisiert und dementsprechend falsch „behandelt“. In der Tagesklinik gab es zwei Therapeuten. Sie waren sehr verständnisvoll, haben die „Misshandlung“ in der Klinik schärfstens verurteilt und haben sich sehr bemüht, Jessica zu unterstützen und zu helfen. Die Tagesklinik ist einem psychiatrischen Krankenhaus angegliedert. Die Patientinnen in der Tagesklinik werden vom Oberarzt des Krankenhauses betreut. Im Rahmen der Gesprächstherapie hat man Jessica - mit ihrem Einverständnis - als „unterstützende Maßnahme“, ein Antidepressivum verabreicht. Dieses Medikament war Fluctin, Wirkstoff Fluoxetin, ein sogenannter SSRI (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer). Die Anfangsdosis war 20mg. Man versicherte ihr, das Medikament hätte viel weniger Nebenwirkungen als die „alten“ Antidepressiva und betonte, dass sie nicht abhängig machen.

Medikamente
Am Wochenende, nach 2 oder 3 Tabletten, waren wir zu Hause, als Jessica plötzlich meinte - „Ich habe Angst“. Wir haben ihr gut zugeredet, ahnten damals aber nicht, was diese „Angst“ tatsächlich war. Jessica hatte angefangen zu halluzinieren. Sie konnte keine Messer in der Küche anschauen, ohne, dass sie „sah“, wie sie sich damit verletzte, sie „sah“ plötzlich, wie „bösartige“ Fingernägel ihr aus den Fingerspitzen wuchsen und den Kopf ihres kleinen Bruders aufschlitzten, als sie mit der Hand darüber strich. Alles war wie in einem Horrorfilm. Sie rief in der Klinik an, und erzählte, dass sie starke Angstzustände hatte und man meinte, sie sollte das Medikament absetzen. Dieses Horrorfilmgefühl ließ erst nach einer Woche nach.
Während dieser Zeit hatte sie auch ständig das Gefühl, dass jemand mit den Fingernägeln an der Tafel herunterkratzen würde. Es war fast unerträglich für sie. Sie versuchte, die Stärke der Symptome dem Klinikpersonal klarzumachen - man hat es aber nicht geglaubt, dass sie nach ein paar Tabletten so etwas erleben könnte. Man gab ihr ein Neuroleptikum, Taxilan (Perazin), das man normalerweise für „akute und chronische Psychosen“ verschrieben bekommt. Außerdem verabreichte man ihr Tavor (Lorazepam/Ativan) - ein Benzodiazepin, da sie mit den horrenden Zuständen nicht klar kam und zusätzlich, weil sie nicht
schlafen konnte, Schlaftabletten. Dazu dann Paroxetin (Tagonis), auch ein SSRI. Sie bekam am Anfang eine Vierteldosis.

Mit diesem Arsenal wurden die Symptome etwas gelindert, gingen aber nicht ganz weg. Eine Woche später erhöhte man die Dosis des Paroxetins auf 10mg. Ihr Zustand verschlechterte sich schlagartig. In der Klinik wusste man nicht, wie man auf das Ganze reagieren sollte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mich nicht länger heraushalten, und setzte mich mit dem Therapeuten in Verbindung. Ich meinte, ich könnte es mir nicht vorstellen, dass das alles nicht mit den Medikamenten zusammenhing, da Jessica noch nie solche qualvolle Gefühle und Suizidgedanken zuvor hatte. Der Therapeut war auch der Meinung, dass die Medikamente ihr nicht halfen, und schlug vor, alle abzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich von Psychopharmaka keine Ahnung. Mir war es auch nicht klar, was Jessica tatsächlich genommen hatte. Ich wusste damals nicht, dass man sie nie über nacht absetzen soll - die Ärzte offensichtlich auch nicht. Man setzte daraufhin sämtliche Medikamente ab. Dann brach die Hölle los. Jessica ging es so schlecht, dass sie meinte, sie will sterben. Nicht, weil sie nicht mehr leben wollte, sondern, weil sie mit diesen unerträglichen Zuständen einfach nicht mehr leben konnte. Es ging ihr so schlecht, dass der neue Oberarzt (es gab in dieser Woche einen Arztwechsel), wegen „akuter Suizidgefahr“ gerufen wurde. Der Therapeut war in Urlaub. Der neue Oberarzt meinte, da sie suizidgefährdet wäre, bräuchte sie ein Antidepressivum. Er gab ihr Citalopram (Cipramil) - ein weiterer SSRI.

An diesem Wochenende ging es Jessica so schlecht, dass ich nicht wusste, was ich machen soll. Sie wollte sich stationär in die Klinik einweisen lassen, da sie dachte, sie wäre komplett psychisch krank. Sie konnte nur im Bett liegen und wiederholen „ich kann so nicht mehr leben“. Ich war fertig. Ich fuhr mit ihr wieder in die Klinik und traf mich mit dem Oberarzt und mit dem Therapeuten im Krankenhaus. Ich wiederholte ständig meine Gewissheit, dass ihre ganze Symptomatik mit den Medikamenten zusammenhing. Man sagte mir, das wäre unmöglich. Als ich den Arzt fragte, was ihr dann fehlen würde meinte er, sie würde an einer Depression leiden. Man setzte auch das Hormonpräparat ab, das sie seit ein paar Monaten nahm (wir wissen jetzt, dass ihre ganzen Probleme mit einer Hormonstörung anfingen), weil man vermutete, es könnte eine Interaktion zwischen dem Antidepressiva und dem Hormonpräparat geben. Ich setzte mich dafür ein, dass man die Hormone lässt und das Antidepressivum absetzt. Ich rief bei ihrem behandelnden Endokrinologen an. Er meinte, die Behandlung im Krankenhaus hätte Vorrang. Man warf mir vor, meine Tochter mit meiner „Aufdringlichkeit und Panikmache“ zusätzlich zu verunsichern. Jessica bettelte um Beruhigungsmittel. Man verweigerte sie ihr, mit der Begründung, sie würden abhängig machen. Der
Therapeut war zwar etwas verärgert, da man ihr in seiner Abwesenheit wieder Medikamente gegeben hatte, der Arzt meinte aber, er wäre verpflichtet gewesen, ihr das Antidepressivum zu verabreichen, weil man ihn ansonsten wegen unterlassener Hilfestellung hätte belangen können.

Zu diesem Zeitpunkt war es unmöglich für Jessica, alleine zu bleiben. Ich konnte sie auch nicht alleine lassen. Sie konnte sich nur durch die Tage quälen. Ich hatte sogar Angst, sie nachts alleine zu lassen, und schlief bei ihr im Bett.

Initiative ergreifen
Dann fing ich an, zu recherchieren. Es war mir klar, dass Jessica von den Ärzten keine Hilfe erwarten konnte. Ich wusste, dass das alles mit den Medikamenten angefangen hatte, und ich war mir sicher, dass sie Schuld daran waren. Auf deutsch gab es keine Informationen. Ich erkundigte mich nach den Markennamen der Medikamente, die Jessica genommen hatte (insgesamt 6 verschiedene innerhalb von 4 Wochen - da sieht man, wie hilflos die Betreuer waren), suchte nach den Wirkstoffen der Medikamente und entdeckte, dass Jessica damals Prozac genommen hatte. Und über Prozac gibt es eine ganze Menge von Informationen - auf englisch.
Ich kann nur sagen, dass wir Glück hatten, dass ich Engländerin bin. Ich spürte bald die Bücher von Peter Breggin auf, der ein Zustand namens Akathesie beschrieb, die manche Menschen nach der Einnahme von Psychopharmaka wie Neuroleptika und - was nicht allgemein bekannt war - SSRIs erleiden. Er beschrieb die Akathesie als ein Gefühl, „wie Kreide an der Tafel - nur ist es in Deiner Wirbelsäule“. Das war genau das, was Jessica auch fühlte.

Ich versuchte, Jessica zu erzählen, was ich ausfindig gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt ging sie jeden Tag in die Tagesklinik, war aber nicht fähig, alleine zu bleiben, da sie ständig Wahrnehmungsstörungen hatte. Jedes Geräusch war eine Qual, sie hatte visuelle Störungen, konnte sogar ihren eigenen Atem nicht ertragen. Sie konnte es nicht ertragen, wenn ihre Finger sich berührten, da es so weh tat. Sie war nicht fähig, alleine im Zug zu fahren, da sie immer den Drang hatte, herauszuspringen.
Jedes mal, wenn sie ein Messer sah, „sah“ sie Bilder, wie sie sich damit verstümmelte. Ich musste sie jedes Wochenende pausenlos beaufsichtigen und am Sonntag abends wieder in die Klinik fahren. Während der Fahrt „sah“ sie immer, wie sich die Leitpfosten in Messer verwandelten und wie sie ihren Arm herausstreckte, und wie er verstümmelt wurde.
Sie war ständig in Tränen aufgelöst, da sie so litt. Unter der Woche ging sie mit der Therapeutin der Klinik nach Hause - sie war zufällig die Mutter einer Freundin. Sie kümmerte sich rührend um Jessica und versuchte, ihr gut zuzureden, dass sie lernen musste, mit diesen Symptomen zu leben, bis das Antidepressivum eine Wirkung zeigte. Der Oberarzt hatte gemeint, es wurde 3-4 Wochen dauern, bis Jessica eine Verbesserung ihrer Symptomatik spüren würde.
Sie nahm brav ihr Cipramil - und Schlaftabletten, da sie ansonsten nicht schlafen konnte. Sie war völlig überzeugt, dass sie psychisch krank war und jetzt auch eine Depression hatte, die mit dem Cipramil behandelt werden musste. Deshalb wollte sie nicht hören, als ich meine Befürchtungen aussprach. Sie sagte, ich wäre keine Fachperson, die Ärzte würden sich auskennen und der Therapeut kenne sich gut mit Depressionen aus. Ich hielt mich daraufhin heraus. Ich informierte mich weiter, verbrachte Tage im Internet, um nach Informationen zu suchen, schrieb an Ärzte in Amerika und Neuseeland, las die Prozac Webseiten und entdeckte auch die Seiten über Paxil (Paroxetin). Alle Symptome von Jessica waren dort beschrieben. Ich wusste, sie war nicht die Einzige, die solche Qualen erlitten hatte, besonders nach dem Absetzen von Paroxetin. Jessicas Zustand verbesserte sich über die nächste Zeit nur leicht. Sie fing an, heimlich Rum in ihren Tee zu tun, damit sie sich betäuben konnte. Ich sprach nicht mehr mit ihr darüber, tröstete sie, so gut ich konnte und verbrachte jedes Wochenende mit ihr auf dem Sofa, mit ihrem Kopf in meinem Schoß. Zu etwas anderem war sie nicht fähig. Ich fing an, dem Therapeuten die Informationen, die ich herausgefunden hatte, zu mailen. Es hat alles nichts genutzt.

Die Wende
Ende Januar hatten Jessica und ich dann ein Gespräch. Es waren mindestens 8 Wochen vergangen, das Cipramil hatte die Wahrnehmungsstörungen nicht beseitigt. Jessica konnte zum Beispiel nicht auf Gras oder Kieselsteinen laufen, es war unerträglich. Sie hatte ständig Halluzinationen, wie sie sich oder andere Menschen verletzt. Alle scharfen Gegenstände lösten diese Bilder in ihr aus.

Ich zeigte ihr die Bücher, die ich gelesen hatte, und übersetze ihr die betreffenden Passagen. Ich zeigte ihr die Webseiten über Prozac und Paxil. Sie machte einen Termin mit dem Oberarzt aus, und sagte ihm, dass sie Informationen im Internet über die SSRI gefunden hatte. Seine Antwort war „Man kann nicht alles glauben, was man im Internet liest“. Als sie ihn auf die auf dem Beipackzettel aufgeführten Nebenwirkungen ansprach meinte er: „Beim Aspirin steht auch alles Mögliche - wenn man das alles glaubt, würde man es auch nicht nehmen“. In der Klinik machte man mit Jessica unzählige Tests, um herauszubekommen, was ihr fehlte. Man machte eine CT, Bluttests, neurologische Tests und zum Schluss noch umfangreiche psychologische Tests. Sie waren alle negativ. Die Ergebnisse zeigten nicht einmal auf eine Depression hin. Die Gespräche mit ihrem Therapeuten drehten sich nur um die Medikamente. Weitergekommen sind beide nicht damit. Er beteuerte außerdem immer noch, sie würde an einer Depression leiden.

Kurz darauf entschloss sie sich, das Medikament abzusetzen. Der Therapeut meinte, sie könne es über Nacht absetzen - es mache ja nicht abhängig. Zu dem Zeitpunkt wusste ich, dass man die SSRI langsam absetzen muss. Jessica war aber ungeduldig, und setzte das Cipramil innerhalb von 2 Wochen ab. Es ging ihr dann wieder ganz schlecht. Über eine Freundin in England fand ich heraus, dass Paroxetin in England Seroxat heißt und, dass die BBC im Jahr davor eine Sendung über die Absetzprobleme mit Seroxat/Paroxetin gedreht hatte. Über die BBC Webseite kam ich dann zu der Seroxat Users Group.
Ich hatte noch nie zuvor ein Forum besucht – ich wusste sogar nicht, dass es so etwas in der Form gibt. Ich schrieb dort einen Hilferuf und bekam sofort die Unterstützung, die wir so lange gesucht hatten. Wir trafen dort Hunderte von anderen Betroffenen, die auch beim Absetzen von Paroxetin qualvolle Erfahrungen gemacht hatten - endlich hatten wir den „Beweis“, dass es nicht an Jessica lag.

Mit der Hilfe der Gruppe hat es Jessica geschafft, den Entzug durchzustehen. Über die SUG kam sie mit CITA (Komitee für die unfreiwillige Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln) in Kontakt. Dort fand sie eine Mentorin, die selbst nach dem Absetzen von Cipramil qualvolle depressive Symptome und Suizidgedanken erlitten hatte. Sie hatte ihren Beruf als Lehrerin nicht mehr ausüben können und zum Schluss ihre Stelle verloren. Sie selbst hatte 8 Monate gebraucht, um sich von dem Entzug zu erholen. Im SUG Forum haben wir ganz schlimme Schicksale mitbekommen, wie Menschen durch die Auswirkungen dieser Medikamente ihre Familien, Arbeit und Selbstvertrauen verloren hatten. Ich bekam von der Gründerin der SUG - Sarah Venn - ein Video mit den BBC-Aufnahmen zugeschickt. Jessica konnte die Sendung nicht anschauen, es hat sie zu arg mitgenommen. Mit dem Rückhalt dieser Gruppen konnte ich Jessica durch diese schwere Zeit hindurch unterstützen. Es war für sie eine ständige Qual. In der Zwischenzeit ging sie nicht mehr in die Tagesklinik und auch nicht mehr zu dem Therapeuten, da sie kein Vertrauen mehr zu ihm hatte.

Sie versuchte, wieder ihre Ausbildung als Goldschmiedin aufzunehmen. Es war für sie besonders schwierig, da sie ständig mit scharfen Gegenständen umgeben war. Sie konnte kaum mit einer Mitschülerin reden, ohne, dass sie „sah“, wie sie das Auge ihrer Mitschülerin mit einem Meißel ausstach, oder einer anderen das Gesicht mit dem Brenner in Brand steckte. Diese Bilder verunsicherten Jessica ständig, sie war immer noch nicht ganz von der Vorstellung befreit, dass es an ihr lag.

Wir bekamen in dieser Hinsicht Unterstützung von Dr. Anne Tracy, Autorin des Buchs „Prozac - Panacea or Pandora“ und Gründerin der Coalition for Drug Awareness. Sie beschrieb, wie die SSRIs eine ähnliche Wirkung wie LSD auf das Gehirn haben und bot uns 2 Telefonnummern in Amerika an, wo wir Unterstützung holen könnten, „von Menschen, die wissen, wie es ist“. Wir hatten das Doktorpaket der SUG ausgedruckt und Jessicas Lehrern überreicht. Sie waren sehr verständnisvoll und halfen ihr, so gut sie konnten. Während dieser Zeit versuchten wir immer wieder, hier in Deutschland Hilfe zu finden. Wir haben 2 Neurologen aufgesucht. Der erste meinte, es würde wohl an mir liegen, dass es meiner Tochter so schlecht ging. Als ich ihn fragte, warum, meinte er „weil sie mitgekommen sind und mit ihr hier sitzen“. Ich war dann quasi eine Art dominante Mutter, die ihre Tochter unterdrückt. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch 19. Da blieb mir die Sprache weg. Ich zeigte ihm die Bücher von Peter Breggin. Er sagte, er kenne ihn nicht. Ich fragte ihn, ob er schon mal von Absetzproblemen mit SSRI gehört hätte - er hat verneint. Ich fragte ihn, ob er die SSRI bei seinen Patienten ausschleichen würde. Er sagte, er würde einfach das Rezept nicht wieder ausstellen. Mit dieser Vorgehensweise hätte er noch nie Probleme gehabt. Wir bedankten uns noch... und gingen. Die andere Neurologin hat in der psychiatrischen Landesklinik angerufen, um ihren früheren Professor zu konsultieren. Er sagte, solche Erscheinungen wären zwar in der Literatur beschrieben, er hätte aber noch nie so etwas gesehen und er sieht keinen Grund, warum sie hier in diesem Fall vorkommen sollten. Die Neurologin vermutete, dass Jessica an Schizophrenie leiden würde und schlug ihr vor, ein Neuroleptikum zu nehmen. Das haben wir sogar kurzzeitig in Betracht gezogen.

An einem Wochenende ging es Jessica besonders schlecht. Sie meinte, sie hält das nicht mehr aus. Wir waren fast soweit, dass wir in die Ambulanz der psychiatrischen Landesklinik gegangen wären. Sie entschloss sich aber dagegen, weil sie wusste, man würde ihr nicht glauben und ihr nur weitere Medikamente geben. Sie hatte auch Angst, dass man sie zwangseinweisen würde. So kämpften wir Stück für Stück weiter.

Jessica ging zu ihrer Homöopathin, die ganz geschockt über ihren Zustand war, und gab ihr verschiedene hochpotenzierte Mittel, um die Symptome zu lindern. Das half besonders gut gegen die Angstzustände. Ich bestellte Immunocal aus Amerika, das eine entgiftende Wirkung auf den Körper haben soll. Es enthält Glutathion, ein wichtiges körpereigenes Entgiftungsmittel. Jessica nahm die doppelte Dosis - eine 6-wöchige Behandlung kostete €250,-. Wegen der deutschen Einfuhrbestimmungen mussten wir es über England importieren, was wir dreimal machten. Sie nahm Vitamine, Fischöle - wir probierten einfach alles. Wir fanden einen guten Therapeut für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), der Jessica mit Akupunktur behandelte. Das war dann der Wendepunkt.

Mit der Zeit ging es Jessica immer besser. Sie begann, „Fenster“ zu erleben, in denen es ihr wieder „normal“ ging. Diese Fenster wurden immer länger, und die schwierigen Zeiten immer weniger. Es half ihr ungemein zu wissen, dass die Mitglieder der SUG an den gleichen Problemen litten wie sie auch.

Danach

Jetzt, 8 Monate nach dem Absetzen von Cipramil, geht es Jessica wieder gut. Die ganzen Erscheinungen und Symptome, die sie während der Einnahme und des Absetzens der SSRI erleiden musste, sind verschwunden. Geblieben sind die Narben, die eine solche Erfahrung in so einem jungen Alter hinterlässt. Ihr Selbstvertrauen ist durch diese Erlebnisse schwer ins Wanken gekommen. Unsere Familie hat auch eine ungeheure Belastung durchgemacht.

Vor einigen Monaten habe ich mit Dr. David Healy Kontakt aufgenommen. Seine Studien über das Auftreten von Suizidalität und Selbstverletzung nach der Einnahme von SSRI sind eindeutig. Ich habe in der Zwischenzeit mindestens 8 verschiedene Bücher von diversen US und UK-Autoren gelesen. Ich habe mit Menschen in der ganzen englischsprachigen Welt Kontakt aufgenommen und bin Teil eines engmaschigen Netzwerks geworden. Die Ausmaße des Leids sind unvorstellbar. Ich kann es einfach nicht verstehen.

Die unglaubliche Größe des Problems ließ mich nicht los. Ich dachte ständig an andere Menschen, die hier in Deutschland eventuell auch mit solchen Problemen kämpften, kein Verständnis bei ihren Ärzten fanden und aufgrund mangelnder Englischkenntnisse nicht in der Lage waren, sich zu informieren. So entstand diese Website. Ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas macht, aber die Entschlossenheit, die ich verspürte in dem Drang, anderen davor zu bewahren, was wir durchgemacht hatten, half mir, eine Lösung zu finden. Die Erleichterung, die mich überkam, als ich die Site ins Netz stellte, war gewaltig.

Ich hoffe, dass ich damit auch diejenige erreiche, die Hilfe brauchen. Damit hätte ich wenigstens ein Teil der Unterstützung, die wir fanden, zurückgegeben.

Beim Durchlesen dieses Berichts sind mir die Tränen gekommen. Ich weiß inzwischen, dass ich Glück habe, dass meine Tochter noch am Leben ist - viele sind es nicht mehr.