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Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI-Antidepressiva, der Amok in München

Verfasst: 04.08.2016 22:18
von Esperanza
Peter Breggin, M.D.

Durch Antidepressiva verursachte Gewalt: ein Update nach dem Amoklauf von München


(erschienen auf der Webseite „Mad in America“) am 25.Juli 2016: https://www.madinamerica.com/2016/07/vi ... er-munich/

Aktuell berichten die Medien biographische Details aus dem Leben des 18jährigen Jugendlichen, der am 22. Juli in München neun Menschen erschoss und viele weitere verwundete, bevor er sich schließlich selbst umbrachte. Wie berichtet wird, litt der Täter an verschiedenen „seelischen Gesundheitsproblemen“, war im Jahr 2015 zwei Monate in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht gewesen und nahm zum Zeitpunkt des Anschlags nicht näher bekannte Psychopharmaka ein. Es hatte zuvor keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass er psychotisch sein könnte.
Der Massenmörder war gebürtiger Deutscher iranischer Eltern. Er hinterließ ein Manifest, das, soweit man aktuell beurteilen kann, eher auf persönlichen Demütigungen fußte als auf religiösen Überzeugungen.

Viele Massenmörder werden von zwei ausgeprägten und weitestgehend verschiedenen Motivationsquellen getrieben. Das Eine kann man „persönliche Ideologie“ nennen, wobei der Betroffene Hassgefühle auf seine Familie, Peergruppen oder andere Gruppen von Menschen entwickelt, die oft auf der Erfahrung von Mobbing und Demütigung beruhen. Die Manifeste dieser Individuen können auch Wutgefühle gegen die Gesellschaft im Allgemeinen beinhalten, aber ohne sich mit einer bestimmten politischen oder religiösen Ideologie zu identifizieren.
Die zweite Motivationsquelle kann man politische oder religiöse Ideologie nennen. Es wird wichtig sein zu erkunden, ob der Attentäter von München einer der ersten ist, der sowohl zu der einen als auch anderen Gruppe gehört.

Meine klinische und forensische Erfahrung führt zu einer weiteren Unterscheidung bei Personen, die unter dem Einfluss von Psychopharmaka morden, speziell unter Antidepressiva.

Diejenigen, die nur einen oder zwei Menschen oder Familienmitglieder töten, haben oft keinerlei Vorgeschichte von geistigen Störungen oder Gewalttendenzen. Das Medikament selbst scheint der einzige Anlass des gewalttätigen Ausbruchs zu sein, bei nur minimaler Provokation oder familiären Konflikten.

Auf der anderen Seite gibt es viele Massenmörder unter Psychopharmakaeinfluss, die oft, aber nicht immer, eine lange Vorgeschichte bezüglich seelischer Störungen und manchmal Gewalttätigkeiten haben. Bei diesen Menschen scheint unser Gesundheitssystem zunehmende Gewalt herbeizuführen, ohne die Gefahr diesbezüglich zu erkennen.

Berichten zufolge besaß der Münchner Attentäter Datenmaterial über amerikanische Massenmörder, die von ähnlichen Ideologien getrieben waren, inklusive Eric Harris und Dylan Klebold, die Amokschützen des Massakers an der Columbine High School im Jahr 1999, wobei 12 Klassenkameraden und ein Lehrer zu Tode kamen. Ebenso besaß er Material zu Cho Seung-hui, einem Studenten, der 32 Menschen an der Virginia Tech im Jahr 2007 erschoss.

Mein aktueller Report über fünf verschiedene Mörder, die unter dem Einfluss von Psychopharmaka standen, zeigt neue Fakten und Schlussfolgerungen, die auf meiner Tätigkeit im Zivil- und Strafrecht beruhen und ihre Handlungen umschreiben. Diese Fünf sind nur ein kleiner Teil der Fälle, die ich im Rahmen medikamenteninduzierter Gewalt analysiert und evaluiert habe.



1. James Holmes (Aurora, Colorado)
Am 16. März 2012 war Holmes ein Student im Aufbaustudium, der Probleme mit seinem Studium hatte und eine Freundin, die drauf und dran war, ihn zu verlassen. Er suchte Hilfe in der medizinischen Abteilung der Universität, wo die Sozialarbeiterin schnell bemerkte, dass Holmes gewalttätige Gefühle auf die Allgemeinheit im Generellen hatte. Am 21. März fragte sich die Sozialarbeiterin, ob Holmes Anzeichen psychotischen Denkens offenbarte, stellte aber keine psychotische Diagnose.

Bei der Auswertung zahlreicher Quellen, darunter Holmes` Computer und Notebook, konnten keinerlei Hinweise darauf gefunden werden, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits erste Einkäufe tätigte oder Pläne schmiedete, die schließlich zu seinem Angriff auf das Kino führten. Statt dessen suchte er psychiatrische Hilfe, etwas, was er niemals getan hätte, wenn er bereits konkrete Pläne für einen Massenmord geschmiedet hätte.

Am 27. März verschrieb ihm eine Psychiaterin Zoloft (Sertralin), ein Antidepressivum aus der Gruppe der SSRI (Selective Serotonine Reuptake Inhibitors), ähnlich den Medikamenten Prozac, Paxil und Celexa. Wenn man die Sorgen des Arztes bezüglich Holmes` psychotischen Denkens und seine gewalttätigen Tendenzen berücksichtigt, dann war das in etwa so, als wenn man eine Gasleitung anzünden würde.

Am 17. Mai beschrieb die Sozialarbeiterin Holmes nun zweifelsfrei als jemanden, der ein hohes Maß an psychotischem Denken mit paranoiden und feindseligen Gefühlen offenbarte. Sie kam nicht auf die Idee, dass die Medikation seinen Zustand hatte verschlechtern können.
Holmes` Psychiaterin sah ihn das letzte Mal am 11. Juni, sechs Wochen vor dem Amoklauf im Kino. Zu diesem Zeitpunkt hatte Holmes bereits 75 Tage lang Zoloft genommen. Die Psychiaterin war sehr besorgt über die Verschlimmerung des Zustands seines Patienten, seinem Gewaltpotential und die zunehmend paranoiden und hasserfüllten Gedanken an seine Umwelt. Sie war ebenso zutiefst besorgt über Holmes` langanhaltende Gewaltphantasien, so viele Menschen wie möglich auf einmal zu töten, fand jedoch keine konkreten Anschlagspläne. Sie fragte sich, ob er einen psychotischen Schub haben könnte und diagnostizierte unspezifische paranoide Wahnzustände. Den Rest des Tages verbrachte sie mit zahllosen Telefonaten mit Universitätsstellen, um die Gefährlichkeit ihres Patienten zu diskutieren, kam jedoch schließlich zu dem Schluss, dass Holmes keine unmittelbare Gefahr für sich und Andere darstelle.

Einer schriftlichen Verschreibung vom 17. April zufolge erhöhte die Psychiaterin seine Dosis auf 100 mg Zoloft, zwei Mal am Tag, mit einem einmonatigen Vorrat von 60 Tabletten und der Möglichkeit, das Rezept ein zweites Mal einzulösen.
Wenn das Medikament wie verschrieben genommen worden wäre, hätte der Tablettenvorrat bis zum 17. Juni reichen müssen. Einem gegensätzlichen Eintrag im Medikationsplan zufolge (das Rezept scheint die Wirklichkeit jedoch eher zu reflektieren), händigte sie Holmes am 14. April eine Verschreibung für Zoloft 100mg aus, davon anderthalb pro Tag, 45 Tabletten, mit der Möglichkeit zweier erneuter Einlösungen in der Apotheke. Diese Verschreibung hätte Holmes bis zu seinem Attentat gereicht, allerdings in einer etwas geringeren Dosis.
Zusätzliche Informationen, die mir vorliegen, lassen den Schluss zu, dass Holmes sein Zoloft abrupt um den 30. Juni herum absetzte, 20 Tage vor seinem Massenmord.
Ein abrupter Entzug mag seinen Zustand verschlimmert haben, aber der Hauptfaktor zu seinem Gewaltausbruch war die längerfristige Einnahme eines Medikaments, das seine Befindlichkeit verschlechterte und ihn in eine Psychose katapultierte.

Nicht der Moment des Absetzens war der kritische. Er wurde zunehmend gewalttätig, während er Zoloft nahm. In dieser Zeit entwickelte er seine Anschlagspläne. Während er Zoloft nahm, bekam er eine manie-artige Psychose und diese wäre erst längere Zeit nach dem Absetzen abgeflaut.
Oft werden Patienten, die eine Manie und / oder Psychose während einer Antidepressivatherapie erleiden, hospitalisiert. Obwohl dann das ursächliche Medikament absetzt wird, ist oft ein längerer statinonärer Aufenthalt vonnöten, die Gabe von Antipsychotika sowie manchmal sogar Fixierung der Patienten und Isolationsunterbringung.
Ich bin zweifelsfrei davon überzeugt, dass das Zoloft zu Holmes` Gewalteskalation beigetragen hat und dass er ohne das Medikament den Amoklauf nicht begangen hätte.


2. Eric Harris (Columbine High School)
Eric Harris begann vermutlich erst kurz nachdem er auf Antidepressiva gesetzt wurde mit seinen Tagebüchern.
Er hatte keinerlei gewalttätige Vorgeschichte, und seinen und anderen Aufzeichnungen zufolge begannen er und sein Mittäter Dylan Klebold erst mit ihren Anschlagsplänen, nachdem Harris monatelang Antidepressiva genommen hatte. Erics Berater empfahl seinem Hausarzt, ihm Antidepressiva zu verschreiben. Der Arzt diagnostizierte „mögliche Depression“ und ADHS. Kurze Zeit später wurde Harris auf Luvox (Fluvoxamin) umgestellt, da er „ein wenig obsessiv“ unspezifische „negative“ Gedanken entwickelte. Luvox war zu jener Zeit FDA-zugelassen für sechs bis 17jährige Patienten mit OCD (obsessive compulsive disorder = Zwangsstörung). Eric löste seine erste Verschreibung über 25 mg Luvox am 28. April 1998 ein, beinahe ein Jahr vor seinem Amoklauf an der Columbine High School. Seine Tagebucheinträge wurden mit zunehmender Einnahmedauer und -menge von Luvox immer bizarrer und gewalttätiger.

Am 31. Mai wurde Harris` Dosis auf 50mg erhöht und am 9. Juli auf 100mg. Am 7. Januar waren es schließlich 150mg. Mitte März, etwa einen Monat vor dem Attentat auf seine Mitschüler und Lehrer, notierte der Arzt, dass Eric nun bei 200mg Luvox pro Tag sei. Am 13. März löste Harris seine letzte Verschreibung ein, fünf Wochen vor dem Massenmord am 20. April 1998 an seiner Schule. Sein Medikamentenvorrat hat auf jeden Fall bis zum Tag des Amoklaufs gereicht.

Dem Autopsiebericht zufolge hatte Harris „therapeutische Dosen“ von Luvox in seinem Blut. Aufgrund der recht kurzen 15stündigen Halbwertzeit von Fluvoxamin bedeutet das, dass Eric die Medikamente noch genommen oder kürzlich noch genommen hatte. Dieser Fakt ist wichtig, denn die Medien berichteten, dass Harris zum Zeitpunkt des Amoklaufs keine Antidepressiva genommen haben soll.


3. Joseph Wesbecker (Louisville, Kentucky)
Der am 27. April 1942 geborene Jeseph Wesbecker betrat am 14. September 1989 seine frühere Arbeitsstelle und schoss auf 20 Menschen, von denen sieben starben. Anschließend richtete er sich selbst. Wesbecker hatte eine lange Vorgeschichte von Gefühlen des Verfolgtwerdens und Aggression am Arbeitsplatz; außerdem bedrohte er seine Mitmenschen, weswegen er stationär aufgenommen wurde. Er würde sich recht gut entwickeln, meinte sein Psychiater, als er ihn auf Prozac setzte.

Einen Monat später kam Wesbecker zur Folgeuntersuchung und berichtete, er würde sich durch die Medikamente besser fühlen. Wie dem auch sei, Wesbecker wurde zum ersten Mal in seinem Leben psychotisch und entwickelte die Wahnvorstellung, an seiner Arbeitsstelle von einem seiner Chefs in Anwesenheit der kompletten Kollegenschaft sexuell missbraucht worden zu sein. Der Psychiater notierte „der Zustand des Patienten scheint sich verschlechtert zu haben“, er „weine“ und zeige „zunehmende Levels von Aggression und Wut“. Der Psychiater schrieb „Prozac?“, womit er die Vermutung äußerte, dass das Antidepressivum der Grund für Wesbeckers erneute Psychose und Wahnvorstellungen sein könnte, und brach die Therapie mit Prozac ab.

Drei Tage später brachte Wesbecker ein Waffenarsenal zu seiner ehemaligen Arbeitsstelle und beging systematisch den Massenmord. Dabei handelte er „wie ein Roboter“.
Die Halbwertzeit von Prozac beträgt etwa 10 Tage. Somit stand Wesbecker noch unter dem Einfluss des Medikaments. Dass er direkte schädliche Auswirkungen des Entzugs zu jenem Zeitpunkt erfuhr, ist somit wenig wahrscheinlich.


4. Der Fall C.P.J. (Kanada)
Der Fall vom C.P.J. veranschaulicht, wie eine Überstimulation durch Antidepressiva zu Gewalt führen kann. Er gibt zahlreiche Fälle, in denen die Gewalttätigkeit nicht zum Massenmord führt, bei denen man jedoch anschaulich nachvollziehen kann, wie ein Mensch, der niemals in seinem Leben gewalttätig war, unter Antidepressivaeinfluss plötzlich zur Gefahr wird.

C.P.J. war ein 16jähriger Junge, der mit Prozac (Fluoxetin) wegen Gefühlen der Traurigkeit behandelt wurde, die für seine Mitmenschen nicht wahrnehmbar waren. Er hatte keinerlei Vorgeschichte von Gewalt, als er plötzlich und ohne jegliche Provokation seinen Freund erstach.
Der Junge hatte drei Monate lang Prozac genommen. In dieser Zeit verschlechterte sich sein Zustand. Er wurde impulsiv, unberechenbar und zeigte suizidale Tendenzen. Er begann auf einmal, über Gewaltphantasien zu reden. Seine Eltern waren verstört zu erleben, wie ihr Sohn plötzlich ein anderer Mensch zu werden schien. Sein Hausarzt und die Eltern wandten sich wegen der alarmierenden Situation an die verschreibende Klinik, doch das Prozac wurde nicht abgesetzt.
Bei C.P.J.s letztem Besuch in dieser psychiatrischen Einrichtung erklärte er, er möge die Gefühle, die Prozac in ihm hervorrief. Obwohl seine Mutter bei diesem Treffen anwesend war und große Bedenken dagegen aussprach, verdoppelte man die Dosis.

Siebzehn Tage nach Erhöhung der Dosis saß C.P.J mit zweien seiner Freunde entspannt zusammen, drehte sich urplötzlich um und erstach seinen guten Freund.

Die größte Anzahl an Gewaltereignissen geschieht innerhalb eines bis zweier Monate nach Neuverschreibung oder Dosiserhöhung eines Antidepressivums. Die Packungsbeilage der FDA rät zu erhöhter Wachsamkeit nach einer Dosisänderung, sei es nach oben oder nach unten.
Am 16. September 2011 kam ein kanadischer Richter während des Gerichtsprozesses zu folgender Schlussfolgerung: „Dr. Breggins` Erklärung bezüglich des Effekts von Prozac auf J.P.Cs Verhalten vor dem Tag und an dem Tag, an dem er eine impulsive, unvorhersehbare Gewalttat beging, passt zu unseren Indizien“. Weiterhin sagte er über den Teenager: „Sein grundsätzliches Normal-Sein heute lässt vermuten, dass er nicht länger eine Gefahr für Andere darstellt und dass die Verschlechterung seines geistigen Zustands und die daraus resultierende Gewalt nicht eingetreten wären, wenn ihm nicht das Prozac verschrieben worden wäre.“
Bezugnehmend auf meine ausführlichen Darlegungen und mein Gutachten beschied der Richter „C.P.J. hat keines der Charakteristiken eines Gewalttäters. Die Aussichten für eine Rehabilitation sind gut“.
Der Richter kam zu dieser Auffassung, obwohl die Regierung dagegen opponierte sowie ein lokal bekannter Experte anderer Meinung war.


5. Reynaldo Lacuzong (Kalifornien)
Im Jahr 1999 bekam der Ingenieur Reynaldo Lacuzong 10mg Paxil (Paroxetin) verschrieben, die niedrigste erhältliche Dosis. Drei Tage später ertränkte er seine beiden kleinen Kinder und sich selbst in einer Badewanne.
Den meisten Definitionen zufolge stellt das Töten zweier oder mehr Menschen den Tatbestand von Massenmord oder Amok dar.

Das Medikament wurde Lacuzong von seinem Hausarzt verschrieben, weil er unter Anspannung litt, nachdem er beschlossen hatte, seinen Alkoholkonsum (nicht viel, nur ein bis zwei Gläser abends zum Entspannen) einzustellen. Er hatte keinerlei Vorgeschichte von Gewalt oder Kriminalität.
Sofort, nachdem er auf Paxil gesetzt wurde, entwickelte Lacuzong psychomotorische Erregungszustände in Form von Akathisie (krankhafter Bewegungsdrang). Von Akathisie weiß man, dass sie in Verbindung mit Gewalttätigkeiten gebracht wird. Bei der Einsicht und Nachbetrachtung geheimer Studien von GlaxoSmithKline entdeckte ich, dass Akathisie und andere ernsthafte Nebenwirkungen besonders in den ersten drei Tagen der Medikamenteneinnahme auftreten.


Wie Antidepressiva Gewalt und Selbstmord verursachen
In meinem Buch „Medication Madness: the Role of Psychiatric Drugs in Cases of Violence, Crime and Suicide“ habe ich die kompletteste Übersichtsarbeit und den wissenschaftlichen Nachweis bezüglich des Verursachens von Gewalt durch Medikamente gebracht.
Im Jahr 2003/2004 fasste ich im „International Journal of Risk and Safety in Medicine“ die wissenschaftliche Literatur zusammen und beschrieb, wie die grundsätzliche Aktivierung oder das Überstimulations-Syndrom mit vielen Fällen von Gewalt verknüpft ist.
„Manie mit einhergehender Psychose ist das extreme Ende eines Kontinuums an Erregung, das oft mit geringfügigen Schlafstörungen, Nervosität, Ängstlichkeit, Hyperaktivität und Reizbarkeit beginnt und dann fortschreitet in Richtung schwerer Erregung, Aggression und variablen Levels von Manie“
Ich erwähnte ebenfalls, dass die Nebenwirkung, die man Akathisie oder psychomotorische Erregung nennt, zu Gewalttätigkeit und Selbstmord beiträgt.

2004 überarbeitete ein FDA-Gremium die Packungsbeilagen von Antidepressiva im Bezug auf Selbstmord und Gewalttätigkeit. Die Vorsitzende des Gremiums bat mich um Kopien meines 2003 / 2004 veröffentlichen Reports über SSRI-induzierten Selbstmord, Gewalt und Manie und legte diese den Unterlagen der Gremiumsmitglieder bei. Die neuen Warnhinweise der Packungsbeilagen ähneln sich sprachlich nun meinen diesbezüglichen Worten. Der Abschnitt „Warnhinweise“ beinhaltet nun Warnungen vor Antidepressiva-induzierter „Angst, Erregung, Panikattacken, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Feindseligkeit, Aggressivität, Impulsivität, Akathisie (psychomotorische Unruhe), Hypomanie und Manie.“

Diese Liste der aktivierenden oder überstimulierenden Effekte erscheint bei den Warnhinweisen, die nach FDA-Regularien nur aufgenommen werden dürfen, wenn eine „begründbare Evidenz eines kausalen Zusammenhangs mit einem Wirkstoff vorliegt. Eine kausale Beziehung hierfür muss noch nicht definitiv hergestellt worden sein.“ (21 CFR 201.57, p.29, revised as of April 1, 2008)
Neben den Warnhinweisen zum Aktivierungssyndrom warnt die FDA-genehmigte Packungsbeilage auch umfassend vor einer „klinischen Verschlechterung“ sowie suizidalem Denken und Handeln.

Wenn Menschen sich durch ein Medikament, das ihnen eigentlich helfen sollte, schlechter fühlen („klinische Verschlechterung“), dann entwickeln sie Gefühle der Verzweiflung, weil sie befürchten, dass sie „so schlecht drauf“ seien, dass ihnen noch nicht einmal die beste Medikation helfen kann. Dies kann zu noch tieferer Verzweiflung führen und suizidale oder aggressive Gefühle verstärken.
Der „Medikamentenkompass für Antidepressiva“, eine kurze Zusammenfassung der FDA, welche verschreibende Ärzte dazu auffordert, Patienten und deren Familie umfassend über Antidepressiva aufzuklären, mahnt ebenso Patienten und Familienmitglieder zu erhöhter Wachsamkeit vor gefährlichen Nebenwirkungen, darunter „aggressives oder gewalttätiges Verhalten“. Unter anderem:

- Versuche, Selbstmord zu begehen
- sich durch gefährliche Impulse leiten lassen
- aggressiv oder gewalttätiges Handeln
- Gedanken zu Selbstmord und Sterben
- neu hinzugekommene oder verschlimmerte Depression
- neue oder schlechter gewordene Angst oder Panikattacken
- Gefühlen von Erregung, Ruhelosigkeit, Wut oder Reizbarkeit
- Schlafstörungen

Eine Studie konnte zeigen, dass 8,1% der psychiatrischen Einweisungen auf Antidepressiva-induzierte Manie zurückzuführen ist. Selbst das offizielle „Statistic Manual of Mental Disorders, 5th edition“ der amerikanischen Psychiatric Association führt auf, dass Antidepressiva Manie und Psychosen auslösen können und dass Manie mit einer großen Breite an zerstörerischen Verhaltensweisen, u.a. „Selbst- und Fremdschädigung“ verknüpft ist.


Das größere, weniger offensichtliche Problem
In diesem Report konzentriere ich mich auf die schwerwiegendste Gewalt in Form von Massenmord. Abgesehen davon schaden Antidepressiva Millionen von Patienten und ihren Familien, indem sie die Patienten aggressiver, wütender und leichter zu frustrieren machen, genauso wie gleichgültig gegenüber ihren Liebsten. Ehen werden durch Antidepressiva-induzierte Manie, häusliche Gewalt, Feindseligkeit, sexuellen Fehlfunktionen und Mangel an Liebe zerrüttet. Obwohl die FDA-geprüften Beipackzettel vor Reizbarkeit, Akathisie, Erregung und Feindseligkeit als Nebenwirkungen von Antidepressiva warnen, gelingt es Ärzten oft nicht, ihre Patienten für die möglichen Probleme zu sensibilisieren oder zu erkennen, wenn diese schädlichen Wirkungen bei ihren Patienten eintreten.


Die definitivste Studie
Mehrere Jahre nach der Veröffentlichung der FDA-Warnhinweise erstellten Thomas Moore und Kollegen 2010 eine Übersichtsstudie über alle der FDA gemeldeten Nebenwirkungen von 2004 bis 2009. Ihre Arbeit zeigte, dass eine enorme Anzahl an Medikamenten, nämlich 84,7%, zwei oder weniger Fälle von Gewalt verursachten. Im Vergleich dazu weisen bestimmte Wirkstoffklassen, darunter Antidepressiva, Stimulanzien, Benzodiazepine und atypische Neuroleptika, eine wesentlich höhere Rate an Gewalttätigkeiten als Nebenwirkungen auf. Diese Unterschiede bleiben auch dann bestehen, wenn man die Anzahl der Verschreibungen in die statistische Analyse miteinbezieht
(p kleiner 0,01).

Es ist nicht die „geistige Krankheit“ des Patienten, welche die Gewalt verursacht. Es sind die Medikamente. Sechs der 31 Wirkstoffe, die in Thomas Moores Studien mit Gewalt in Verbindung gebracht werden, werden routinemäßig nicht bei psychiatrischen Störungen verschrieben. Es ist bemerkenswert, dass dabei der gefährlichste Wirkstoff Vareniclin (Chantix) ist, ein Medikament zur Rauchentwöhnung. Ähnlich dazu, ist der fünfte Wirkstoff Mefloquin (Lariam), ein Malariamittel, das traurige Berühmtheit erlangt hat, als der U.S. Army Staff Sgt. Robert Bales afghanische Nicht-Militärs unter dem Einfluss von Lariam massakrierte. Die FDA-Packungsbeilage zu Lariam konstatiert: „Mefloquin kann psychiatrische Symptome bei einer Vielzahl von Patienten verursachen, darunter Angst, Paranoia, Depression, Halluzinationen und psychotisches Verhalten.“
Nicht alle Psychopharmaka können mit Gewalttätigkeiten in Verbindung gebracht werden und es gibt einige Wirkstoffe im nicht-psychiatrischen Bereich, die in hohem Maße mit Gewalt assoziiert sind. Die vorliegenden Daten lassen den Schluss zu, dass nicht die Befindlichkeit des Patienten, sondern die Medikamentenklassen mit dem Auftreten von Gewalt verknüpft sind.


Abschließende Gedanken
Vier der fünf Mörder, Harris, Holmes, Wesbecker und C.P.J., hatten intensiven Kontakt zum psychiatrischen Gesundheitssystem. Kliniker und Ärzte, auch die Psychiater, waren unfähig gewesen, ihr gewalttätiges Verhalten zu erkennen und / oder dem vorzubeugen. Stattdessen verschieben die Ärzte Medikamente, die Gewalt erst verursachten oder aber bestehende gewalttätige Tendenzen verstärkten. Wir können festhalten, dass zumindest in diesen Fällen psychiatrische Behandlung keine Hilfe beim Erkennen oder Kontrollieren der Gewalt war. Meine Erfahrungen zeigen, dass dies ein generelles Problem: wir können uns nicht darauf verlassen, dass das psychiatrische Gesundheitssystem Gewalt erkennt oder verhindert. Stattdessen verursacht es Gewalt oder trägt dazu bei.

Den Gebrauch von SSRIs und anderen Antidepressiva einzuschränken, würde einen enormen Rückgang an Aggression und Gewalttätigkeiten bei denjenigen bewirken, die diese Medikamente einnehmen, inklusive der alltäglicheren, oben beschriebenen Akte an Boshaftigkeit und Lieblosigkeit.

Wie ich schon vor Jahrzehnten in meinem Buch „Talking back zu Prozac“ beschrieb, und wie in vielen Büchern und Artikeln seitdem bestätigt worden ist, zeigt eine gründliche Überprüfung der FDA bezüglich der Wirksamkeit von Antidepressiva, dass diese nicht besser als Placebo wirken, die Menschen dagegen jedoch geistig beeinträchtigen und die Rate für Suizid und Gewalt erhöhen.
Meine Beobachtungen, dass Antidepressiva wirkungslos sind, wurde seitdem in zahlreichen Studien von zahlreichen Kollegen belegt, darunter Irving Kirsch, der Autor von „The Emperor`s new Drugs“.

Eine Klasse an Medikamenten mit keiner belegten Wirksamkeit, dafür mit einer breiten Anzahl an offensichtlichen Nebenwirkungen, von denen einige sogar tödlich enden –warum sollten solche Mittel auf dem Markt sein? Die weiterhin bestehende Verfügbarkeit von Antidepressiva und ihre wachsende Zahl spiegeln eine gierige Pharmaindustrie wider, eine verschwörerische Ärzteschaft und einen psychiatrischen Berufsstand sowie eine korrupte FDA.
2013, nach dem entsetzlichen Massaker an der Sandy Hook in Connecticut durch Adam Lanza, sprachen Sanjay Gupta, Arzt bei der CNN und Rom Ridge, der ehemalige Direktor der Homeland Security, für einen kurzen Moment die Wahrheit aus: sie gaben zu, dass Psychopharmaka Gewalt verursachen können und als auslösender Faktor für Adam Lanzas Massenmord in Frage kommen. Glücklicherweise nahm ich ihre Kommentare auf, denn sie äußerten niemals wieder Derartiges und Adam Lanzas Krankenakte liegt weiterhin nicht vor.

Als AbleChild eine Freedom of Information-Anhörung (FOIA) bei der Administration Connecticuts erzwang, verweigerte der Staat die Herausgabe von Lanzas Krankenbericht. Bei der Anhörung behauptete Assistant Attorney General Patrick Kwanashie, dass es nicht legitim sei zu schlussfolgern, dass Lanzas Antidepressiva etwas mit seiner Gewalttätigkeit zu tun hätten. Er verweigerte die Herausgabe der Patientenakte mit dem Hinweis, es gäbe keinen legitimen Verwendungszweck und würde „eine Vielzahl an Menschen dazu bringen, ihre Medikamente nicht mehr zu nehmen.“

Die Legislative und der Kongress müssen Gesetze erlassen, welche die Herausgabe der Patientenakten von Massenmördern erlauben. Nur dann wird man im Stande sein, das Schloss zu öffnen, mit dem die Pharmaindustrie solche kritischen Informationen unter Verschluss hält. Bis dahin lässt sich die Evidenz dieses Reports und detaillierter in meinem Buch „Medication Madness“ nicht leugnen, dass Antidepressiva Gewalt verursachen können, angefangen bei Menschen, die leichter reizbar sind und ihren Mitmenschen gegenüber lieblos, über Menschen, die häusliche Gewalt ausüben bis hin zu Massenmord.

Website von US-Psychiater Peter Breggin MD: http://breggin.com/

Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI, der Amok in München

Verfasst: 04.08.2016 22:23
von Jamie
Liebe Esperanza :),

echt hammer! Superklasse, dass du diesen langen und so aussagekräftigen Text von Dr. Breggin für uns übersetzt hast :party2: .
Danke für deine große Hilfe und die viele Mühe, die du dir gemacht hast. :hug:

Grüße
Jamie

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Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI, der Amok in München

Verfasst: 04.08.2016 22:53
von padma
liebe Esperanza, :)

auch von mir ganz herzlichen Dank. :hug:

liebe Grüsse,
padma

Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI-Antidepressiva, der Amok in München

Verfasst: 05.08.2016 10:49
von Lisamarie
Hallo Esperanza, vielen lieben Dank das du dir die Mühe gemacht hast, sehr interessant.
lg Petra

Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI-Antidepressiva, der Amok in München

Verfasst: 06.08.2016 11:08
von Markus 77
Danke fürs Übersetzen sehr interessant was da geschrieben steht ....lg Markus

Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI-Antidepressiva, der Amok in München

Verfasst: 06.08.2016 18:20
von sybsilon
Hallo Esperanza,

auch von mir herzlichen Dank fürs Übersetzen.

Das War bestimmt eine Mammutaufgabe.

LG sybsilon

Re: Dr. Peter Breggin: Gewaltverbrechen unter SSRI-Antidepressiva, der Amok in München

Verfasst: 09.11.2017 22:21
von Flummi
Hallo,
Wirklich super interessant. Vielen Dank für die Übersetzung!
Herzliche Grüsse,
Claudia