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ÜBERSICHT: Alternative oder Scharlatanerie?

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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PhilRS
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ÜBERSICHT: Alternative oder Scharlatanerie?

Beitrag von PhilRS »

- Alternative oder Scharlatanerie? -

Es gibt eine unübersehbare Zahl von "alternativen" Methoden, Mitteln und Empfehlungen; das kann man in der Rubrik Alternativen zu Antidepressiva und auch in vielen anderen Beiträgen immer wieder sehen.

Diese Empfehlungen sind gewiss alle gut gemeint und erfolgen hier nicht ohne Grund. Doch eine Frage stellt sich fast immer – früher oder später:
Wie gut ist die "alternative" Methode wirklich, und handelt es sich möglicherweise um Quacksalberei bzw. Scharlatanerie?

Zur Einstimmung eine kleine Entscheidungshilfe, die sich auch für alle (vorerst) nicht aufgeführten Verfahren eignet.
modifiziert* nach arznei-telegramm 10/2003, S. 95 hat geschrieben:Zehn Indizien für Quacksalberei

Scharlatanerie bzw. Quacksalberei wird umso wahrscheinlicher, je mehr der folgenden Beschreibungen zutreffen.

Die Methode bzw. ein Produkt
  • wird durch Hinweis auf exotische Herkunft (Regenwald, Himalaya u.a.) interessant gemacht
  • soll Heilung bringen, wenn die Schulmedizin versagt
  • soll durch umfangreiche Erfahrungen "untermauert" sein, ohne dass Daten aus kontrollierten klinischen Studien zugänglich gemacht werden
  • soll gegen eine Vielzahl verschiedener Erkrankungen wirken, die nichts miteinander zu tun haben
  • soll regelmäßig zum Erfolg führen, wobei Misserfolge der Schulmedizin angelastet werden
  • ist an einzelne Personen, Institutionen oder Hersteller gebunden, die "die Therapie entwickelt" haben und daran verdienen (hohe Preise)
  • soll keine Nebenwirkungen haben oder die Nebenwirkungen von schulmedizinischen Verfahren reduzieren bzw. aufheben
  • ist kompliziert (strenge Vorschriften, schwierige Anwendung u.a.), so dass Misserfolge auf Anwendungsfehler zurückgeführt werden
  • soll schon seit Jahren oder Jahrzehnten verwendet werden, ohne offiziell anerkannt zu sein
  • ist angeblich so gut, dass unverständlich bleibt, wieso keine Zulassung als Arzneimittel existiert.
1 – 2 Punkte: Verdacht auf Quacksalberei;
3 – 4 Punkte: Starker Verdacht auf Quacksalberei;
ab 5 Punkte: Es ist Quacksalberei.

* modifiziert heißt: Ich habe den Wortlaut leicht geändert und die Punktewertung hinzugefügt. Sie trifft bei allen mir bekannten Quacksalbereien zu.
- Interessant: Auch einige schulmedizinische Verfahren rücken so in den Bereich der Quacksalberei (was m.E. aber keine wirkliche Überraschung ist).
.
  • Die Begriffe Quacksalberei (=unqualifizierte/unsinnige Behandlung) bzw. Scharlatanerie (=Fehlbehandlung mit anderen Absichten als dem Patientenwohl, z.B. Profitstreben) werden unten nicht konsequent unterschieden, da die Grenzen fließend sind, und die exakte Deutung im Alltag kaum eine Rolle spielt.
Hier soll eine Übersicht entstehen, in der wichtige "alternative Verfahren" u.ä. aufgeführt und beurteilt sind. Mitarbeit ist erwünscht, denn ich kenne bzw. erwähne längst nicht alle oder auch nur die gerade populären Methoden.

Meine Kriterien sind erst einmal diese:
  • Wie sieht die Schulmedizin diese Verfahren?
    – Das ist z.B. wichtig, wenn man als Patient mit dem Arzt über so eine Methode diskutieren muss.
  • Gibt es Anhaltspunkte für eine über den Plazeboeffekt hinausgehende Wirkung?
    – Nur, wenn substanzielle Daten oder Überlegungen dies nahelegen.
  • Gibt es besondere Risiken oder Bedenken?
    – Besonders dann, wenn die Verfechter/Anbieter jener Methoden Schadwirkungen/Begleiteffekte ignorieren bzw. verharmlosen. Hier will ich auch auf besondere Abzocke-Gefahren hinweisen.
  • Welche Relevanz haben die Methoden bei psychischen Erkrankungen?
    – Denn die Psychiatrie ist eines der am radikalsten "schulmedizinisch" orientierten Fachgebiete.
    • ACHTUNG: Die folgenden Beiträge geben nicht zwingend meine persönliche Meinung wieder! Sie wurden ca. unter dem Blickwinkel eines Schulmediziners formuliert, der "Alternativmedizin" nicht a priori ablehnt, jedoch keinen näheren Bezug zu einer dieser Methoden hat.
    • Ich bitte dies zu beachten, bevor eine Diskussion angestrengt wird: Denn ich möchte nicht unbedingt Pro-/Contra-Stellung beziehen, außer zu den Fakten.
Verwendete Literatur:
- M. Stöhr: Ärzte, Heiler, Scharlatane
  • Prof. Dr. Manfred Stöhr, Neurologe und Chef der Neurologischen Uniklinik in Augsburg (2004), ist in etlichen Expertenkommissionen (BÄK, DGN, usw.) tätig und hat neben exzellenten Fachbüchern mehrere bemerkenswert kritische Bücher bzw. Beiträge zu Problemen der Schulmedizin verfasst, zuletzt eine wichtige Abrechnung mit dem teuren und "Anti-Aging"-Wahn.
Außerdem Kapitel oder Abschnitte aus:
- Dott/Merk/Neuser/Osieka: Lehrbuch der Umweltmedizin;
- Schockenhoff (Hrsg.): Spezielle Schmerztherapie;
- Altmeyer/Bacharach-Buhles: Enzyklopädie Dermatologie Allergologie Umweltmedizin;
- Poeck/Hacke: Neurologie;
- und weitere => jeweils wegen gut begründeter, sachlicher Einschätzungen zu einem oder mehreren Verfahren der Alternativmedizin.


Es folgen die einzelnen Methoden.
PhilRS
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I. ERNÄHRUNG

Beitrag von PhilRS »

I. Ernährung

Obwohl psychische Krankheit – wie viele andere Leiden auch – häufig mit schlechter bzw. Fehlernährung vergesellschaftet ist, stimmt der Umkehrschluss nicht: D.h. Ernährungsumstellung oder –ergänzung führt in den seltensten Fällen zu einer Besserung.
Der mögliche "psychoedukative" Effekt einer strikten Ernährungsdisziplin ändert nichts am grundlegenden Befund, nämlich dass viele hier Ursache (Erkrankung) und Wirkung (Ernährungsprobleme) verwechseln, und dass sich besonders viele Scharlatane um die angebliche Gesundheitsförderung durch Ernährungsänderung "kümmern".

Diese Vorliebe für die Krankheitserklärung durch "Ernährungsfehler" hat wohl historische Ursachen. Nicht zuletzt waren es die Nazis, deren führende Vertreter hierzu teils absurdeste Theorien vertraten – mit Wirkung bis heute (vgl. die Ausführungen zu Vollkornbrot, Vegetarismus usw. bei Robert N. Proctor: The Nazi War on Cancer, New York 1999; dt. als Blitzkrieg gegen den Krebs, Stuttgart 2002).


I.1 Vegetarische, vegane und makrobiotische Ernährung

Kein eigener, reproduzierbarer Effekt. Die beiden letztgenannten Formen können zu Mangelerscheinungen führen (gefährlich bei Schwangeren).
Allgemeine Besserung durch ein Gefühl erhöhten Körperbewusstseins ist möglich.


I.2 "Nahrungsergänzungen": Vitamine

I.2.1 B-Vitamine

Vitamin B12-Mangel ist eine wichtige Differenzialdiagnose und eine oft übersehene Ursache psychischer Erkrankungen aller Art. Besonders häufig bei starken Rauchern und Menschen mit Magenerkrankungen, außerdem bei fleischloser Ernährung. Lässt sich mittels Bestimmung des B12-Spiegels im Blut feststellen und mit parenteraler Gabe (Injektion) von Vitamin B12 oder Einnahme hochdosierter B12-Präparate relativ rasch und sicher beheben.
Die meisten B12-Zubereitungen zur "Leistungssteigerung" (Vitasprint u.a.) sind dazu aber ungeeignet, da unterdosiert und außerdem überteuert.

Mangel an anderen B-Vitaminen kommt besonders nach chronischem Alkoholmissbrauch vor und führt zu diversen Nervenschäden, ferner zu psychischen Erkrankungen. Kann ebenfalls durch Gabe entsprechender Präparate (Vit. B-Komplex u.ä.) gestoppt werden. Bereits eingetretene toxische Schäden lassen sich aber kaum beheben.

I.2.2 Vitamine A und E

Außer bei nachgewiesenem Mangel sollen Vitamin A und E nicht eingenommen werden, da sie keine heilende oder "schützende" Wirkung haben, sondern das Leben verkürzen können (das Risiko bei unbegründeter Einnahme wird in den letzten Jahren deutlich höher bewertet). Raucher haben z.B. durch Betakarotin (=Provitamin A) ein mehrfach höheres Risiko, an Krebs zu sterben; Vitamin E ist zumindest nutzlos. Bei psychischen Erkrankungen gibt es nicht einmal hypothetische Anwendungen von Vitamin A oder E.
  • ACHTUNG: Während Betakarotin-haltige Präparate zur Zeit vom BfArM einem Verfahren zur Schadensabwehr unterworfen werden (u.a. Festlegung von Höchstmengen/Tag), werden in Supermärkten weiterhin "ACE-/Multivitamin-Säfte" verkauft, deren Gehalt an Betakarotin höchst bedenklich und evtl. lebensgefährlich ist. Erlaubt sind 2mg/Tag, einige Produkte enthalten jedoch über 10mg/Liter, teils auch noch mehr.
Vitamin A wirkt teratogen (=das ungeborene Kind schädigend). Vitamin-A-reiche Lebensmittel dürfen daher von Schwangeren nicht eingenommen werden. Dasselbe gilt übrigens für Leber, Leberwurst usw., was in Deutschland aber noch nicht allgemein bekannt zu sein scheint.

I.2.3 Vitamin C

Vitamin C wird aus historischen Gründen immer noch überbewertet, ist aber – außer bei wirklichem Mangel (Skorbut) – weitgehend nutzlos. Scharlatane (Dr. Rath) propagieren Vitamin C in Höchstdosis. Es existieren keine Nachweise für eine gesundheitsfördernde Wirkung – Hinweise auf Schädigungspotenzial schon.


I.3 "Nahrungsergänzungen:" Mineralien und Spurenelemente

I.3.1 Selen

Kein Nutzennachweis vorhanden.
Einige Präparate fallen durch höchstes Preisniveau unter "Scharlatanerie", wenn sie als Hilfe zur Gesundung angepriesen werden.

I.3.2 Zink

Zink spielt eine Rolle in der Immunabwehr des Körpers, wird aber vermutlich modebedingt überbewertet. Es gibt bei psychischen Erkrankungen keine plausible Wirkhypothese für Zink und keinen Nutzennachweis.

I.3.3 Salze: Natriumchlorid (NaCl), Kaliumchlorid (KCl)

"Himalaya-Kristallsalz" stammt nicht aus dem Himalaya, sondern stellt das billigste Steinsalz (NaCl/KCl-Gemisch) auf dem Weltmarkt dar – es stammt aus der größten Salzabbaustätte im Flachland von Pakistan. Wegen der enormen Heilsversprechen, der hohen Preise usw. handelt es sich klar um Scharlatanerie (vgl. Einleitung oben) und um handfesten Betrug am Käufer.


I.4 Andere als "Nahrungsergänzungen" verkaufte Stoffe

Weitere Stoffe, die aus rechtlichen Gründen als "Nahrungsergänzungen" verkauft werden (Noni, Hormone, Aminosäuren u.a.m. -> siehe IV.), kommen weiter unten zur Sprache.
PhilRS
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II. GANZHEITLICHE METHODEN

Beitrag von PhilRS »

II. Ganzheitliche Methoden

Als Ganzheitliche Methoden werden hier solche Verfahren/Lehren bezeichnet, die ausgehend von einem besonderen Menschenbild – das ggf. von europäischen Gepflogenheiten abweicht – spezielle Heilmethoden entwickelt haben.


II.1 Akupunktur

Fernöstliches Verfahren, das in den letzten Jahren in Deutschland verstärktes Interesse der Wissenschaft erfährt. Es existieren verschiedene Strömungen, die sich (oberflächlich) dadurch ähneln, dass Metallnadeln in bestimmte Punkte der Körperoberflächliche eingestochen werden, und weitere Varianten (z.B. Moxibustion, das Abbrennen von Kräuterpäckchen bzw. "-zigarren" auf eingesteckten Nadeln). Es gibt Berührungen mit der TCM (s.u.); die Akupunktur ist jedoch eine relativ selbstständige Methode geworden, die sich zudem dynamisch entwickelt.

Die bisher vorliegenden Studien zur Wirksamkeit von Akupunktur weisen extrem unterschiedliche Ergebnisse auf, unterscheiden sich aber auch stark in ihrer Qualität und Aussagekraft. Die Entscheidung, ob es sich bei der A. um mehr als ein Plazeboverfahren handelt, kann noch nicht endgültig getroffen werden. Trotzdem bezahlen heute viele Krankenkassen die Akupunktur als Therapie bei chronischen Schmerzen, teilweise auch für weitere Indikationen.

Ein Nutzen bei psychischen Erkrankungen wurde verschiedentlich behauptet, konnte aber nie nachgewiesen werden. Vermutlich wird das auch so bleiben, da sich die fernöstlichen Auffassungen von (psychischer) Gesundheit stark von den europäischen unterscheiden.


II.2 Homöopathie

Vom Anfang des 19. Jahrhunderts (S. HAHNEMANN) stammende Heilmethode, die auf eingehende Untersuchung und Befragung des Patienten mit nachfolgender Wahl eines Mittels für diesen Menschen in seiner konkreten (Krankheits-)Situation setzt. Dieses Mittel soll beim Gesunden theoretisch ähnliche Symptome auslösen, gegen die es beim Kranken angewendet wird. Den Schadeffekt bemüht man sich mittels Verdünnung ("Potenzierung") zu vermeiden, wobei hohe "Potenzen" (starke Verdünnungen) ggf. besser wirken sollen.
Die Homöopathen bilden heute zwei große Lager: die "klassischen" H., die der "reinen Lehre" Hahnemanns anhängen und Hochpotenzen anwenden (was dieser erst in seinen späten Jahren so radikal forderte), sowie die gemäßigten/moderneren H., die geringer verdünnte Mittel einsetzen. Bei Letzteren sind noch Spuren der Wirkstoffe nachweisbar.

Die Beurteilung wird dadurch erschwert, dass einflussreiche Vertreter der Homöopathie behaupten, mit schulmedizinischen/wissenschaftlichen Prüfungen könne die Wirkung nicht nachgewiesen werden. An solchem Widerstand scheitert oft die Durchführung nachvollziehbarer Vergleichsstudien, obwohl solche Studien prinzipiell machbar wären und ausreichend aussagekräftig sein könnten. Bisherige Resultate geben nur vage Hinweise zu der Frage, ob es sich um ein reines Plazeboverfahren handelt.

Bei psychischen Erkrankungen kann die Homöopathie im Einzelfall hilfreich sein, da sich der Behandler prinzipbedingt eingehend mit dem Patienten beschäftigen muss, was in der Praxis niedergelassener Psychiater in solchem Maße oft nicht möglich ist.


II.3 Anthroposophische Medizin

Auf der esoterischen Lehre von STEINER fußende Methode. Ihre heutigen Vertreter haben viele abwegige Elemente der ursprünglichen Theorie mittlerweile verlassen. Betont wird u.a. die Rhythmik von Lebensprozessen als Ansatzpunkt zur Wiedererlangung von "Harmonie". Ausdrucks- bzw. gestalterische Elemente (Tanz, Maltherapie) eröffneten Perspektiven, die der Schulmedizin lange Zeit abgingen, inzwischen aber anerkannt werden.

Die Krankheitskonzepte der schulmedizinischen Psychiatrie und der anthroposophischen Medizin sind extrem inkompatibel (sichtbar z.B. an den Vorgängen um die Psychiatrie-Abteilung der Klinik Havelhöhe in Berlin).

Ein Versuch kann im Einzelfall lohnen, da mehr noch als in anderen alternativen Richtungen der Kranke nicht als Patient, sondern als Mensch wahrgenommen wird. Allerdings besteht eine gewisse Gefahr des Unterschätzens psychiatrischer Symptome durch die Therapeuten.


II.4 Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)

Vielschichtige, extrem umfangreiche und auf größerem Erfahrungsschatz als die westliche Schulmedizin aufbauende Richtung. Sie kann hier nicht annähernd angemessen gewürdigt werden. Hauptunterschied zur modernen westlichen Medizin ist die strikt individuelle und ganzheitliche Betrachtung des Kranken, obwohl sich dieser Grundsatz in den letzten Jahren durch außerasiatische Einflüsse aufzulösen scheint.
Die wichtigste Gemeinsamkeit mit der westlichen Medizin besteht in der Verwendung von "Medikamenten" – die sich aber von hiesigen Präparaten klar unterscheiden. Eingesetzt werden nur Naturstoffe, von Mineralien über Pflanzenteile bis zu Tierkörpern oder -körperteilen.

Da psychische Erkrankungen in Asien verpönt sind und lange Zeit ignoriert wurden, gibt es kaum spezielle TCM-Verfahren zu ihrer Behandlung. Dennoch existieren Behandlungsoptionen, wenn die Symptome "umgedeutet" werden zu "Energieflussstörungen" oder dergleichen. Diese Entscheidungen sollte nur ein erfahrener TCM-Heiler treffen, was hiesige Heilpraktiker i.d.R. ausschließt: Zumeist verfügen nur in China aufgewachsene und ausgebildete Heiler über das nötige Wissen.


II.5 Ayurveda

Quasi das "indische Gegenstück" zur TCM. Ebenfalls jahrtausendealte Erfahrungsmedizin. Der Schwerpunkt bei der Therapie liegt etwas mehr auf physikalischen und rituellen Methoden, als das bei der TCM der Fall ist. Sonst gilt das oben Gesagte in groben Zügen auch für Ayurveda.

In letzter Zeit wird der Alternativmedizin-Markt im Zuge der neuen Esoterikwelle mit Verfahren und Produkten überschwemmt, die fälschlich mit dem Etikett "Ayurveda" werben. Ein einzelnes Mittel kann vielleicht aus dem unüberschaubaren Arsenal der Ayurveda-Methoden stammen, jedoch kann es isoliert wohl niemals seine beabsichtigte Wirkung entfalten (siehe IV.5).
PhilRS
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III. AUSSENSEITERMETHODEN

Beitrag von PhilRS »

III. Außenseitermethoden

Als Außenseitermethoden werden hier solche Verfahren bezeichnet, die aufgrund ihrer abwegigen "theoretischen" Begründungen, problematischen (auch gefährlichen) Prozeduren u.ä. ganz überwiegend skeptisch beurteilt und faktisch nur von Leuten ohne Fachwissen praktiziert werden. Eine Plazebowirkung ist – wie bei allen schon genannten Verfahren – denkbar, allerdings stehen der Anwendung der folgenden Methoden besondere Bedenken gegenüber, auf die deren Verfechter typischerweise nicht stichhaltig antworten (können).


III.1 Osteopathie

Bei psychischen Erkrankungen sehr wahrscheinlich unsinnig. Kann allerdings bei Somatisierung lindernde Effekte auf die verschiedensten Körpersymptome haben (z.B. bei Rückenschmerzen, "Verspannungen").

Die absonderliche Bezeichnung Osteopathie (="Knochenkrankheit", Osteopath="Knochenkranker"?) weist bereits auf das fragwürdige theoretische Gerüst hin. Trotzdem haben diese Verfahren besonders in den USA dank massiver Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit ihrer Anhänger enorme Verbreitung gefunden. Die US-amerikanische Osteopathie-Bewegung geht auf medizinisch naive Ideen von STILL und SUTHERLAND aus dem 19. Jahrhundert zurück und nahm im 20. Jahrhundert teils sektenähnliche Züge an (mit Verschwörungstheorien, "Eliten"-Bildung, etc.).
Heute praktizieren in den USA zwischen 50.000 und 100.000 "Osteopathen" verschiedener Richtungen. In Deutschland nahm ihre Zahl in den letzten Jahren enorm zu, was u.a. auch zu einem Zuwachs an Literatur führte, die aber nur selten grundlegenden Standards entspricht – schon gar nicht denen der Wissenschaft.


III.2 Spagyrik

Die Spagyrik beruft sich thematisch, methodisch und v.a. in der Herstellung ihrer "Heilmittel" auf die Alchimie des Mittelalters. Die heutige Spagyrik wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem schlesischen Eisenbahnmechaniker ZIMPEL "entwickelt" bzw. "erfunden". Sie hat weder eine akzeptable theoretische Begründung noch kann sie sinnvolle Beiträge zur Gesundung leisten. Einige "spagyrische Mittel" sind giftig und gefährlich.
Werden für diese "Behandlung" nennenswerte Geldbeträge gefordert, dann handelt es sich um Scharlatanerie – ansonsten ist es "nur" Quacksalberei.


III.3 BACH-Blüten ("Bachblüten")

Bachblüten "verdanken ihre Bezeichnung dem 1886 geborenen britischen Arzt und Aussteiger E. BACH, der peinlicherweise trotz seiner Entdeckungen früh verstarb" (Stöhr 2001, S. 167).
Verwendet werden Extrakte aus 37 Blüten, die hoch verdünnt und in diversen Kombinationen durch "geistige Kräfte" bzw. "spirituell" wirken sollen. Am bekanntesten sind die "Rescue-" oder "Notfall-Tropfen". Reine Suggestivwirkung, falls überhaupt ein Effekt spürbar wird.

Es genüge, "das Fläschchen über Nacht neben dem Bett stehen zu lassen, was die Nebenwirkungsquote weiter senkt und selbst die – auch bei starken Verdünnungen möglichen – allergischen Reaktionen ausschaltet" (Stöhr 2001, S. 168). -- Dem ist nichts hinzuzufügen.


III.4 Bioresonanz

Absurdes, über die Jahrzehnte in ständig neuen Varianten propagiertes Verfahren, wobei die zugehörige "Theorie" immer wieder nachvollziehbar dem Laien-Halbwissen in Physik und Biologie angeglichen wurde (insofern bestehen Parallelen zu manchen schulmedizinischen Verfahren, deren Theorie dem medizinischen Halbwissen von Ärzten angeglichen wurde – besonders in der Psychiatrie).
Die Verfechter der Bioresonanz bevorzugen möglichst beeindruckende, aber nicht nachprüfbare Formulierungen – solch ein Vorgehen muss den Betrachter skeptisch stimmen, egal wo es auftritt.

Verwendet werden zunehmend komplexe Geräte mit deutlichen Anklängen an die Apparatemedizin (=Mimikry; vermeintliches Wiedererkennen bewirkt Plazeboeffekt).
Da die behaupteten Messungen von "Schwingungen" und dgl. die Grundlage der Behandlung (z.B. "Ausleitung") bilden, sollte ein medizinischer Effekt auch unabhängig vom Anwender nachweisbar – und nicht etwa "mit heutigen Methoden unmessbar" – sein. Das ist aber nicht der Fall. Folglich handelt es sich bei der Bioresonanz-"Therapie" um Quacksalberei bzw. wenn Geld im Spiel ist um Scharlatanerie.


III.5 "Elektroakupunktur nach VOLL" (EAV)

Die EAV hat praktisch nichts mit der Akupunktur zu tun, außer der Tatsache, dass angebliche "Messungen" an Akupunkturpunkten vorgenommen werden. Es handelt sich um einen reinen Marketing-Gag des Erfinders, der mit den zu seiner Zeit populären Themen Elektrizität und Akupunktur werben wollte.

Es werden "Messgeräte" unterschiedlicher Machart verwendet, die im Wesentlichen den Hautwiderstand an den Messpunkten prüfen sollen. Allerdings unterliegt der Hautwiderstand ständigen Änderungen (z.B. durch verschiedene Schweißabsonderung entsprechend der Umgebungstemperatur) – deshalb kann keine sinnvolle Beziehung zu Krankheiten oder Symptomen hergestellt werden. Die Geräte haben darum i.d.R. keine absoluten, sondern relative Skalen, mit Ausschlag um einen willkürlichen Nullpunkt
Der Klient sieht eine Anzeigeänderung, die reinweg nichts bedeutet, aber sehr eindrucksvoll sein kann. Dieser altbekannte psychologische Mechanismus wird z.B. von Zauberkünstlern in ähnlicher Form benutzt; das freundliche Wort dafür lautet Gaukelei.

Die quacksalberische Verwendung der EAV als "Diagnosehilfe" in Verbindung mit Homöopathie (was dem Prinzip der H. widerspricht) hat in den USA zu rechtlichen Schritten der Regierungsbehörde FDA gegen die Anbieter geführt. Seit einigen Jahren ist somit die EAV eines der wenigen Quacksalberverfahren, das als solches "staatlich anerkannt" und konsequent verboten wurde.
PhilRS
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IV. SONSTIGE MITTEL/METHODEN

Beitrag von PhilRS »

IV. Sonstige Mittel und Methoden


IV.1 Phytotherapeutika

IV.1.1 Johanniskraut (Hypericum)

Johanniskrautpräparate enthalten einen Extrakt, also einen Auszug aus der Pflanze, der meist mit Hilfe von Alkohol hergestellt wird. Vermutlich ist das darin – neben weiteren Bestandteilen – enthaltene Hyperforin wirksamer als das ebenfalls vorgefundene Hypericin. Trotzdem werden die Mittel auf Hypericin "standardisiert", d.h. der Gehalt an Hypericin wird gemessen und danach wird festgelegt, wieviel Extrakt auf eine Dosis (Tablette, Kapsel usw.) kommt, um einen Standard von 300, 600 oder 900mg H./Dosis zu erreichen. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass Produkte verschiedener Hersteller bei vielen Patienten unterschiedlich stark wirken, obwohl die Dosis nominell gleich ist.
  • Bei "Therapie-Versagen" kann darum auch das gewählte Präparat die Ursache sein und nicht eine generelle Unwirksamkeit von Johanniskraut. Ein Präparatewechsel kann dann versucht werden.
Johanniskraut-Extrakt wirkt meist dämpfend und leicht stimmungsaufhellend. Manche Anwender berichten auch von starker (unangenehmer) "Beruhigung". Die hierzulande üblichen Präparate sind zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen zugelassen, also für Indikationen, bei denen eine Medikamenteneinnahme allgemein nicht empfohlen wird.

Das wichtigste Problem bei Johanniskraut sind die oft unterschätzten Neben- und Wechselwirkungen. Die Mittel wirken phototoxisch, d.h. die Haut wird empfindlicher gegen Licht und reagiert mglw. schon auf geringe Sonneneinwirkung mit Rötung oder schwereren Symptomen. Wegen der vielfältigen Wechselwirkungen mit Standardmedikamenten muss der behandelnde Arzt über eine Johanniskraut-Selbstmedikation informiert werden.

IV.1.2 Noni-Zubereitungen

Noni-Produkte (v.a. Noni-Tee) sind klassische Scharlatanerie-Erzeugnisse: Hohe Preise und völlig überzogene Versprechungen charakterisieren diese Mode-Mittelchen. Noni enthält leider auch Anthranoide, die Krebs auslösen können – dadurch wird der geringe mögliche Nutzen (nämlich die erhöhte Zufuhr von Flüssigkeit) mehr als ausgeglichen. Wasser ist gesünder und billiger.

Dasselbe gilt für diverse "exotische" Kräutertee-Mischungen, die immer neu auf den Markt kommen, mit unhaltbaren Wirkangaben beworben werden und meist schnell verschwinden.


IV.2 Hormone

Männliche und weibliche Geschlechtshormone wirken stark auf die Psyche. Je nach Geschlecht können Androgene (m) oder Östrogene (w) spürbarere Effekte haben.

Neben den Geschlechtshormonen selbst und einigen von ihnen abgeleiteten Stoffen haben Anabolika psychische Effekte. Dazu kommen weitere pflanzliche u.a. Substanzen, die in ihrer chemischen Struktur stark von den menschlichen Hormonen abweichen, aber trotzdem ähnliche Wirkungen besitzen, z.B. die so genannten Phytoöstrogene.

Ferner werden psychische Effekte auch für andere Hormone behauptet, die nicht zum Regelkreis der Geschlechtshormone gehören - beispielsweise das Melatonin.

IV.2.1 Androgene (männliche Geschlechtshormone) sowie Anabolika

Die Androgene (=androgene Steroide, z.B. Testosteron) fördern Risikobereitschaft und Aggressivität, ferner den Muskelaufbau u.a. – das gilt in ähnlicher Form auch bei Einnahme durch Frauen.

Eine Sondergruppe bilden die anabolen Steroide (z.B. Nandrolon, Stanozolol), die vorrangig den Muskelaufbau fördern und daher fast nur missbräuchlich verwendet werden, v.a. im Leistungssport, aber auch von Amateuren in Fitnessstudios.

Bei Langzeitanwendung resultieren Schäden an verschiedenen Organen, vor allem an Leber und Nieren. Mindestens mehrere Hundert Todesfälle sind bekannt, viele davon durch Multiorganversagen.
Die psychische Verfassung kann dauerhaft beeinträchtigt werden: Berüchtigt sind die nach Absetzen der Mittel eintretenden Depressionen. Unter Einwirkung der Mittel kann es zu Kurzschlussreaktionen kommen, Morde und Körperverletzungen im "Milieu" sind häufig durch die Einnahme (mit-)bedingt.

Vorstufen von Androgenen sind in einigen Ländern als "Nahrungsergänzung" im Handel, darunter das DHEA (Dehydroepiandrosteron), das von Geschäftemachern als "Jungbrunnen" angepriesen wird. Es hat vermutlich dieselben Risiken wie Testosteron.

Jede Anwendung von DHEA oder anderen Androgenen ist gefährlich und darum abzulehnen – das schließt auch die jüngsten Versuche gewissenloser Pharmafirmen (Dr. Kade) ein, Testosteron als "Anti-Aging-Wundermittel" salonfähig zu machen.

IV.2.2 Östrogene und verwandte Stoffe (weibliche Geschlechtshormone)

Erhöhter Östrogenspiegel soll bei Frauen mit Stimmungsaufhellung einhergehen, während Progesteron (ein Gestagen) das Gegenteil bewirkt. Hoffnungen in Östrogen-Präparate v.a. zur Einnahme in der Menopause haben sich - hinsichtlich der Stimmungsverbesserung - teils erfüllt, die enormen Risiken dieser angeblichen "Substitution" lassen sich so aber nicht rechtfertigen.

* Phytoöstrogene
  • ACHTUNG: "Pflanzliche Hormonpräparate" wie Cimifuga/REMIFEMIN, FEMIKLIMAN, KLIMADYNON u.a., Mönchspfeffer (Agnus castus)/AGNUCASTON, AGNOLYT, CASTUFEMIN, FEMICUR u.a., Rotklee/MENOFLAVON etc. haben prinzipbedingt dieselben Risiken wie die "chemischen" Hormone und dürfen daher nicht bedenkenlos eingenommen werden.
  • Eine Anwendung bei Depressionen kommt wegen des erhöhten Krebs-, Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos nicht in Frage.
* Soja und Soja-Produkte

enthalten in wechselnder Konzentration - neuerdings auch hochdosiert bzw. in speziellen Präparaten erhältlich - relativ schwach wirksame "Phytoöstrogene", d.h. Substanzen, die grundsätzlich eine ähnliche Wirkung entfalten sollen wie die menschlichen (körpereigenen und "synthetischen") weiblichen Geschlechtshormone.

Wäre das der Fall, so müsste einerseits die psychische Verfassung durch Soja (-Produkte) gebessert werden, andererseits wären ähnliche Probleme zu befürchten wie bei der Einnahme von Östrogen-Präparaten zur "Hormonsubstitution" in der Menopause (siehe oben).

Die Studienlage ist unübersichtlich und widersprüchlich. Es gibt keine anerkannten Richtwerte zu den Inhaltsstoffen oder Dosis-Standards, darum kann kein Produkt empfohlen werden - aber genausowenig muss vor einem solchen gewarnt werden.

Das stärkste Argument sowohl für wie auch gegen eine Soja-Einnahme: Brustkrebs ist bei asiatischen Frauen trotz sojareicher Kost seltener als in Europa. Das könnte bedeuten, dass

  • A) die östrogen-artige Wirkung minimal ist,
  • B) die Soja-Nahrung weitere schützende Substanzen enthält, die den potenziell schädlichen Östrogen-Effekt mehr als aufheben,
  • C) die Soja-Ernährung überhaupt keine Wirkung auf das Hormonsystem (und die Psyche) hat, oder dass weitere Faktoren vielfach stärker sind.
Zur Zeit ist keine Pro-/Contra-Abwägung möglich.

IV.2.3 Melatonin

Das Zirbeldrüsenhormon Melatonin ist an der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt.
Werbeversprechen von Graumarkt-Anbietern, die eine Förderung der "geistigen Fitness" oder gar ein längeres Leben versprechen, sind unseriös und als Scharlatanerie einzustufen.


IV.3 Aminosäuren

Der menschliche Körper besteht in seiner Struktur fast vollständig aus Eiweißen (Proteinen), die wiederum aus 20 Aminosäuren (AS) aufgebaut sind. 9 davon sind essenziell, d.h. lebenswichtig, und müssen i.d.R. mit der Nahrung zugeführt werden.

IV.3.1 Aminosäuren-Gemische

Kombinationspräparate und Mischprodukte aus den 20 AS, die als Grundbausteine der Eiweiße fungieren, haben außer bei Eiweißmangel keine helfende Wirkung.
AS-Mangel gleicht der Organismus mit katabolem Stoffwechsel aus, was bedeutet, dass Muskeln und andere Gewebe abgebaut werden, um den täglichen Bedarf an essenziellen Aminosäuren zu decken. Erst nach Erschöpfung dieser Speicher (also nach deutlicher Auszehrung) treten Mangelerscheinungen auf.

Eine Zufuhr von Aminosäuren ist demzufolge unsinnig, wenn keine Auszehrung und kein Muskelabbau vorliegt: Solange normale Nahrungsaufnahme gesichert ist, werden zusätzlich eingenommene Aminosäuren lediglich wieder ausgeschieden oder mittels erhöhter Synthese in der Leber zu höheren Eiweißen "verbaut".
Eine Sonderrolle hat das Tryptophan: Die Erhöhung seiner Konzentration (z.B. infolge Einnahme als "Nahrungsergänzung") führt in der Leber zu verstärkter Eiweiß-Synthese und damit zu einem generell gesteigerten AS-Umsatz - bzw. zum Absinken der Konzentration freier AS im Blut.

Einnahme von Aminosäure-Gemischen durch körperlich halbwegs intakte Menschen führt also zu keiner Besserung irgendwelcher Symptome. Sie nützt nur dem Verkäufer der Produkte.

IV.3.2 Spezielle AS: (L-)Tryptophan

Die essenzielle Aminosäure Tryptophan muss mit der Nahrung aufgenommen werden und ist u.a. Ausgangsstoff für die Serotonin-Synthese im Organismus. Das Serotonin - ein Gewebshormon - wird in etlichen Organen bzw. Geweben "vor Ort" synthetisiert - außer im Nervensystem vor allem im Magen-Darm-Trakt, wo es eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Verdauung spielt. Daher müssen das Tryptophan und weitere Vorstufen des Serotonins über das Blut zu ihren Bestimmungsorten transportiert werden.

Die antidepressive Wirkung von Tryptophan soll darauf beruhen, dass bei erhöhter Zufuhr mehr Serotonin gebildet wird. Allerdings gibt es Ab- und Umbauprozesse (z.B. in der Leber - siehe IV.3.1), die den Effekt individuell ändern oder aufheben können.
Es existieren wegen der vielen Synthese- und Wirkorte im Körper unzählige Möglichkeiten und Gründe, weshalb eine erhöhte Tryptophan-Zufuhr nicht zwingend zu einer Stimmungsaufhellung führt. Allgemein hängt die Wirkung von der AS-Gesamtbilanz des Menschen ab sowie von der Aktivität der Serotoninsynthese außerhalb des ZNS.

Demzufolge wirkt Tryptophan nicht sicher bzw. reproduzierbar "antidepressiv", was auch durch die Studienlage mit teils sehr widersprüchlichen Resultaten bestätigt wird. Die Einnahme von korrekt produzierten Tryptophan-Präparaten lässt allerdings kaum ernste Nebenwirkungen erwarten, so dass ein Versuch unternommen werden kann.

IV.3.3 Spezielle AS: Phenylalanin


IV.3.4 Nicht-essenzielle Aminosäuren und AS-verwandte Stoffe

5-HTP (Oxitriptan) ist eine vom Tryptophan abgeleitete weitere Serotonin-Vorstufe, die im Körper chemisch stabiler ist und "effektiver" in Serotonin umgewandelt werden soll. Die Wirkung ist in etwa dieselbe wie die des Tryptophans, jedoch reproduzierbarer (zuverlässiger).

"Unsauber" hergestelltes 5-HTP führte in den 80er Jahren zu Todesfällen durch das Eosinophilie-Myalgie-Syndrom (EMS) v.a. in Japan und den USA. Die 5-HTP enthaltenden Arzneimittel (LEVOTHYM) wurden der Rezeptpflicht unterstellt. Gegen die Selbstmedikation z.B. per Internetbestellung bestehen Sicherheitsbedenken, da die korrekte Herstellung mglw. nicht immer garantiert ist und die EMS-Erkrankung nach einigen Quellen auch bei nicht-verunreinigtem 5-HTP auftrat.

SAMe (S-Adenosyl-Methionin) ist ein im Organismus praktisch überall vorhandenes Zwischenprodukt des Stoffwechsels. Es leitet sich von der Aminosäure Methionin ab.

Überzeugende Wirksamkeitsbelege bei psychischen Erkrankungen fehlen. Trotzdem wird SAMe von "Nahrungsergänzungsmittel"-Herstellern massiv beworben. Übermäßige Zufuhr kann Laborwerte verfälschen - z.B. sind Fehlalarme auf Homocysteinurie möglich.


IV.4 Omega-3-Fettsäuren

Die Fette in der Nahrung und im Körper bestehen teilweise aus Fettsäuren, die an einen "alkoholischen Rest" gekoppelt sind (Fette ist übrigens nicht synonym mit dem Oberbegriff Lipide). Bei der Verdauung kann diese Bindung aufgespalten werden, wodurch freie Fettsäuren entstehen. Daneben werden auch Fettsäuren direkt aus dem Darm aufgenommen.
Omega-3-Fettsäuren, wie sie z.B. in Meeresfischen enthalten sind, weisen Strukturbesonderheiten auf und sollen in den Fettstoffwechsel eingreifen.

Damit wird u.a. die Wirksamkeit der fischreichen "Mittelmeerdiät" erklärt (in den Ländern rund ums Mittelmeer sind Herz-/Kreislauf-Krankheiten seltener als in Mitteleuropa).
Im Zuge der Erforschung ihrer Wirkung, die bislang jedoch eher unbefriedigende Ergebnisse erbrachte, wurden den Omega-3-Fettsäuren auch positive Effekte auf das Nervensystem zugeschrieben.

Außer der Wirkung aufs Portemonnaie sind bisher keine schwerwiegenden Einwände gegen Omega-3-Fettsäuren vorgebracht worden, so dass keine Vorbehalte gegen eine Anwendung in Maßen bestehen. Überdosierung führt wahrscheinlich nur zu erhöhter Ausscheidung bzw. gebremster Aufnahme.


IV.5 "TCM"- und "Ayurveda"-Produkte

Wenn TCM-Mittel losgelöst von ihrem erfahrungsmedizinischen Hintergrund vermarktet werden, besteht Anlass zur Skepsis – ähnlich wie bei den "homöopathischen" Kombinationspräparaten. Wie die Homöopathie versucht auch die TCM, den Patienten ganzheitlich zu betrachten und zu behandeln. Das ist mit einem allein verkauften Mittel nicht möglich.

In den letzten Jahren gab es weltweit mehrere Hundert Fälle, in denen "TCM-Produkte" durch Verunreinigungen aufgefallen sind. Dutzende von Giften, Schwermetallen und Arzneistoffen wurden in den Präparaten in beängstigenden Mengen nachgewiesen. Da zugleich abenteuerliche, unzuverlässige Dosierungsangaben kursieren, wodurch die Giftzufuhr schwer abschätzbar ist, sollten alle Mittel mit dem Etikett "TCM" strikt gemieden werden, wenn sie nicht ein Kundiger im Rahmen einer Behandlung verschrieben hat.
Für TCM-Einzelmittel gibt es keine Nutzennachweise bei psychischen Erkrankungen, also verbietet sich jeder Versuch wegen des unkalkulierbaren Risikos.

Dasselbe gilt für angebliche "Ayurveda-Mittel". Hier gab es ebenfalls Giftnachweise, und die Tatsache, dass heute schon Billig-Haarshampoo mit der Aufschrift "Ayurveda" beworben wird, spricht nicht gerade für den Inhalt der so beschrifteten Packungen – eher ganz im Gegenteil.
Zuletzt geändert von PhilRS am 18.07.2006 14:00, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitrag von PhilRS »

  • ... welche Methode fehlt nach Ihrer Meinung noch?
  • ... und was sind Ihre Erfahrungen?

    Dies ist ein Diskussionsforum – ich beantworte gern Fragen bzw. beachte Ihre Hinweise.
Einige mögliche Missverständnisse möchte ich gleich von vornherein vermeiden >> darum unten meine Antworten auf Fragen, die vielleicht beim Lesen entstehen.

Ich habe den Thread versehentlich unter "Alternativen" eingestellt, jedoch vielleicht nicht ganz falsch - evtl. kann er nach einiger Diskussion verschoben werden?!
Jedenfalls wollte ich ihn vorerst nicht nach "Information" stellen.

-PhilRS.
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FAQ (Fragen, wie ich sie mir stellte ;) )

Beitrag von PhilRS »

F: Die meisten Methoden kommen oben so schlecht weg. Hast Du prinzipiell etwas gegen Alternativmedizin?

A: Nein, sogar ganz im Gegenteil. -> Aber:

Die Psychiatrie ist eines der frustrierendsten Gebiete der Medizin, für die Behandler und - schlimmer - für die Betroffenen. Das gilt speziell bei langwierigen Erkrankungen wie z.B. Depressionen. In meiner Zeit als Krankenpfleger habe ich fast alle Disziplinen praktisch (!) kennengelernt. Nur zwei Fächer hatten einen ähnlich hohen "Frustfaktor": Nephrologie/Dialyse und Onkologie. Grund für den Frust ist – klar – die oft geringe Erfolgsquote bzw. hohe "Versagerrate" der Schulmedizin bei diesen Problemen.

Verständlicherweise ist dann die Tendenz der Patienten groß, anderweitig Heilung zu suchen und sich nach "Alternativen" umzusehen. Die Gefahr liegt nicht in diesem Auswegsuchen, sondern darin, dass der äußerst lukrative Markt quasi automatisch Scharlatane anzieht, die auf oft bereits verzweifelte Opfer treffen. Diese sind nach langem Leiden viel eher als andere Menschen zu teuren oder unsinnigen "Therapien" bereit.

Darum muss man hier dringendst vor Quacksalberei und Scharlatanerie warnen - gerade wenn die Wahrscheinlichkeit eines Betruges so hoch ist wie bei den "Außenseitermethoden" und den "Nahrungsergänzungen".

Ein weiterer Grund meiner Skepsis: Selbst die schulmedizinische Psychiatrie liefert oft keine ausreichenden Begründungen, warum sie wen wie behandelt.
Freiberufliche "Heiler" aller Art können das i.d.R. noch weniger – mit Ausnahme erfahrener Kräfte, die z.B. über ihre Ausstrahlung wirken. Die sind aber selten zu finden.


<hr>
F: Soll ich meine angefangene Behandlung bei einem Heilpraktiker etwa abbrechen?

A: Wenn sie Dir hilft, bitte nicht. Entscheidend ist das persönliche Gefühl.

<hr>
F: Jemand, dem ich vertraue, hat mir aber zu (Methode XY) geraten. Was soll ich nun davon halten?

A: Alternative Verfahren lassen sich nur selten sinnvoll weiterempfehlen. Jede/r reagiert anders auf dieses oder jenes, und das Verhältnis zum Behandler ist oft wichtiger für die Wirkung als die konkrete Methode - in der Schulmedizin ist es übrigens oft ähnlich.

Andererseits ist die Begeisterung verständlich, wenn jemand "mit der Methode XY" Fortschritte gemacht hat und mglw. mehr erreicht hat als mit der Schulmedizin. So kommen diese Empfehlungen zustande.
Freu Dich für diejenige/denjenigen und suche Dir Deine eigene Strategie bzw. das was Dir hilft.
  • ACHTUNG: Diskussions-/Selbsthilfeforen sind ein klassischer Tummelplatz für getarnte Geschäftemacher. Misstrauen ist angebracht, wenn Leute mit nur wenigen Beiträgen auftauchen und sofort ein konkretes Produkt loben.

    Tipp:
    • Wird ein Produkt-/Markenname gelobt, ist – auch unabhängig vom Schreiber – das Scharlatanerie-Risiko über 50%.
    • Lobt die Person das Produkt in 3 verschiedenen Threads (oder noch öfter), ist das Risiko über 80%.
    • Wenn Links zu Shoppingseiten gesetzt werden oder die Person nur ein oder zweimal auftaucht, ist das Risiko fast 100%.
<hr>
F: Neulich stand in der Zeitung etwas über dieses Mittel, oder sogar das Fernsehen hat einen Beitrag gebracht. Wie kann das Scharlatanerie sein?

A: Eine berechtigte Frage – aber nicht an mich, sondern an die betreffenden Medien zu stellen.
Leider sind die Menschen im deutschen Sprachraum dem gedruckten/gesendeten Wort gegenüber leichtgläubig (nicht erst heute -> das nutzte schon GOEBBELS aus).

Als geborener Ostler lernte ich das Gegenteil – nämlich erst einmal nichts zu glauben von dem, was die Zeitungen oder das Fernsehen bringen. Und da ich die Branche kennenlernen musste, ist es für mich keine Frage, wie solche unverantwortlichen Beiträge entstehen.

Was die meisten Konsumenten vor dem aktuellen ARD-Skandal nicht einmal ansatzweise ahnten: ZDF und ARD sind mit Abstand die korrumpiertesten und korruptesten Kanäle.
Vielleicht hilft die Überlegung, welche Programme die meisten Zuschauer haben – dann kommt man schnell darauf, mit welch großem Interesse (und finsteren Methoden) sich sowohl Pharmafirmen als auch Abzocker anderer Art um eine Platzierung ihrer Produkte bemühen.

Immer wieder "einsame Spitze" in der Schleichwerbung für sinnlose/gefährliche Mittel ist die Redaktion von PRAXIS (ZDF) mit ihren Ablegern und Kurzbeiträgen in anderen Formaten. Deren "Informationen" ist inzwischen generell zu misstrauen; ich kann mit gutem Grund dazu raten, diese Sendung(en) völlig zu ignorieren.
Aktuell ist auch KONTRASTE (ARD/RBB) "infiziert"(*). Die werben allerdings v.a. für einzelne große Pharmafirmen – ein Skandal für ein früheres kritisches Politmagazin.


(*) Leider habe ich keine Zeit zur Hintergrund-Recherche, obwohl es mich brennend interessiert.

<hr>
F: Im Internet steht auf der Website zum Produkt XYZ, dass es bei (diesen oder jenen) Krankheiten angewendet werden kann oder angewendet werden soll. Kann ich mich darauf denn nicht verlassen? Die dürfen doch nicht einfach irgendwas schreiben, oder?

A: So wie es einen Unterschied gibt zwischen Recht haben und Recht bekommen, so sind etwas strafbares tun und bestraft werden ebenfalls grundverschiedene Dinge. Das sollte unmittelbar einleuchten.

In Sekunden findet man im Netz Dutzende Fälle, wo Hersteller/Anbieter von fragwürdigen oder gar gefährlichen Mitteln mit krassen Falschinformationen werben (Beispiel: ein vielgekauftes Vitamin-Kombipräparat wird zur Anwendung "bei erhöhtem Bedarf, z.B. ... in der Schwangerschaft oder bei Rauchern" beworben -> das Mittel enthält viel Betakarotin, Vitamin A und E und darf deshalb auf keinen Fall so verwendet werden => das ist lebensgefährlich! s.o. I.2.2).

Das arznei-telegramm hat schon mehrfach die zuständigen Behörden wegen deren Untätigkeit attackiert. Ich sehe das etwas anders. Die unendlichen Möglichkeiten, sich im Internet einer Strafverfolgung zu entziehen (Seiten im Ausland, Firmensitz in Nicht-EU-Staaten usw.), machen den Kampf dagegen fast aussichtslos. Nichtsdestotrotz ist die Kapitulation der Behörden skandalös. An der riesigen Zahl betrügerischer Angebote sieht man u.a., dass die Masse der kriminellen Anbieter keine Probleme bekommt – oder dass die hohen Gewinne immer neue Gauner anlocken.


"Informationen" im Internet sind also mit größter Vorsicht zu genießen – übrigens nicht nur bei Schwarz- oder Graumarktgeschäften, sondern auch bei großen/bekannten Firmen.
Die Versuchung zur "versehentlichen" Falschinformation bzw. zum Betrug ist hier besonders groß, weil das Risiko einer Bestrafung so gering ist.
Oliver
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Super Artikel!

Beitrag von Oliver »

Hallo Phil.

Danke für diesen tollen Überblick. Ich finde Deinen Versuch das Ganze aus der hypothetischen Sicht eines unbeteiligten Schulmediziners zu durchleuchten sehr interessant.

Die bereits begonnene Diskussion zum Thread habe ich abgetrennt und in die Kategorie Diskussion verschoben:

[Diskussion] Übersicht: Alternative oder Scharlatanerie.


Oliver
Gesperrt