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ÜBERSICHT: Manipulationen bei Antidepressiva-Studien

Eine Sammlung von Artikeln, die über wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe der Behandlung von seelischen Leiden mit Psychopharmaka berichten.
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PhilRS
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ÜBERSICHT: Manipulationen bei Antidepressiva-Studien

Beitrag von PhilRS »

Die Wirksamkeit der "modernen" Antidepressiva ist umstritten. Die antidepressive Medikation wird von ihren Befürwortern als Erstwahltherapie bezeichnet, deren Wirksamkeit durch unzählige Studien nachgewiesen sei. Kritiker meinen jedoch, dass diese Substanzen - wenn überhaupt - nur wenig besser wirken als Placebo, d.h. dass sie sich von wirkstofffreiem Scheinmedikament kaum unterscheiden. Beide Standpunkte erscheinen zunächst völlig unvereinbar, sind aber jeweils mit schlüssigen Daten untermauert. Ist die Entscheidung für oder gegen Antidepressiva also eine Wissens- oder Glaubensfrage? 20 Jahre nach der US-Zulassung des SSRI Fluoxetin (PROZAC) und angesichts vieler Hundert veröffentlichter Studien sollte eigentlich anzunehmen sein, dass die Wirksamkeit dieser vielverschriebenen Medikamente endgültig bewiesen sei.

Der Schlüssel zum Verständnis liegt in der Studienqualität. Das positive Image der modernen Antidepressiva bei den meisten Psychiatern und anderen Ärzten beruht auf intensivem Marketing der Pharmahersteller. Deren Vertreter und bezahlten Meinungsführer berufen sich auf günstige Studienresultate, die wiederum vorwiegend mit Firmengeld oder in firmeneigenen Studienzentren entstehen.

Die meisten Wirksamkeitsuntersuchungen von Antidepressiva werden als randomisiert-kontrollierte Studien (randomized controlled trial, RCT) durchgeführt. Dabei erhält zur Kontrolle eine Patientengruppe ein wirkstofffreies Scheinmedikament - das Placebo. Die andere Gruppe erhält das echte, zu prüfende Medikament - das Verum. Selten wird zur Kontrolle ein anderes, bewährtes Antidepressivum eingesetzt, meist parallel zu Placebo. Weder die Studienärzte noch die teilnehmenden Patienten dürfen wissen, wer zu welcher Gruppe gehört; dann ist die Studie doppelblind und gilt als aussagekräftig, weil unbewusste Einflüsse auf das Resultat (z.B. durch Erwartungen) vermieden werden.

Vom beweiskräftigen Idealfall der doppelblinden, randomisiert-kontrollierten Studie weichen aber die allermeisten öffentlich zugänglichen Antidepressiva-Studien ab. Oftmals führt das Studiendesign zu einer Benachteiligung von Placebo gegenüber dem zu prüfenden Medikament, also zu einer Überschätzung von dessen antidepressiver Wirkung. Ein großes Problem ist die Entblindung, die in Kauf genommen oder gar mutwillig verursacht wird. Es gibt diverse weitere Manipulationsmöglichkeiten, die das Studienergebnis zugunsten des Wirkstoffs verzerren können. Die letztlich bekanntgegebenen Daten spiegeln dann nicht die reale Wirkung bzw. Nicht-Wirkung des Antidepressivums wieder.

Alle im Folgenden aufgeführten Einflüsse können oder müssen ein verfälschtes, übertrieben positives Studienergebnis hervorrufen. Sie sind aus Studienpublikationen direkt oder indirekt erkennbar oder in speziellen Untersuchungen der Studienqualität aufgefallen. Sämtliche Manipulationsformen sind einschlägig nachgewiesen, jedoch lässt sich nicht endgültig angeben, welche Varianten den größten Effekt bei der Verzerrung von Antidepressiva-Studien haben: Die Herstellerfirmen neigen aus verständlichen Gründen kaum dazu, in Veröffentlichungen "ihrer" Daten auf Qualitätsmängel - also Glaubwürdigkeitsprobleme - hinzuweisen.

Die Liste ist nicht vollständig.

:!: Achtung: Diese Arbeitsversion mit den hier in Form von Folgebeiträgen ausgeführten Abschnitten ist nicht mehr aktuell. Die jeweils aktuellste Version findet sich in unserem Wiki ADFD.wissen unter
Manipulation bei Antidepressiva-Studien
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INHALT

1. Manipulationsformen

1.1 Verzerrungen durch Studienplanung
- Ansatz multipler Studien
- Vermeidung von Direktvergleichen
- Selektion von Patienten

1.2 Benachteiligung von Placebo
- Placebo-Run-In
- Placebo-Wash-Out

1.3 Entblindung
- Entblindung durch UAW
- Gezielte Entblindung

1.4 Unzuverlässiges Rating

1.5 Mangelhafte Nachbeobachtung
- Umgang mit Drop-Out
- Vortäuschung hohen Follow-Ups

1.6 Auswertungstricks
- Fehlkodierungen, "Retusche"
- LOCF-Methode
- Der Cut-off-Trick

1.7 Selektive Publikation

2. Typische Beispiele
2.1 Duloxetin (CYMBALTA)
2.2 Bupropion (ELONTRIL)
2.3 Agomelatin (noch ohne Zulassung)

3. Quellen

4. Weiterführende Literatur
Zuletzt geändert von PhilRS am 19.03.2008 07:36, insgesamt 1-mal geändert.
PhilRS
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Manipulationsformen: Verzerrungen durch Studienplanung

Beitrag von PhilRS »

1. Manipulationsformen

1.1. Verzerrungen durch Studienplanung

Ansatz multipler Studien
Mehr als die Hälfte aller den Zulassungsbehörden vorgelegten Studien können keinen Vorteil des untersuchten Antidepressivums gegenüber Placebo zeigen.[1] Die Hersteller setzen bei modernen Antidepressiva daher ein Vielfaches der letztlich abgeschlossenen bzw. (LINK#Selektive Publikation)publizierten Studien an, um bei der hohen Versagerquote wenigstens einige positive Daten zu erzielen. Bei dem stimulierenden Antidepressivum Reboxetin wurden 8 (!) Studien kalkuliert, um ein einziges Positivresultat zu erhalten.[2] Der gescheiterte Zulassungsantrag von Agomelatin stützte sich u.a. auf 6 Kurzzeitstudien, von denen nur 2 positiv ausfielen.

Ähnliches ist mittlerweile - aus firmeninternen Papieren oder Zulassungsunterlagen - für weitere Substanzen bekannt geworden. Beispiel Paroxetin: Als die Firma GlaxoSmithKline einräumen musste, dass ihr Präparat PAXIL (dt.: SEROXAT) bei Erwachsenen die Selbstmordneigung erhöht, tauchten Daten aus diversen zuvor verschwiegenen Studien auf.[3] Derartige Hinweise gibt es auch beim 2007 zugelassenen Bupropion, trotzdem war die Datenausbeute kläglich: 2 von 4 der EMEA vorgelegten Studien fielen negativ aus, nur eine der 2 positiven wurde veröffentlicht, und selbst diese ist untauglich[4] - wegen Manipulationen, wie wir sie hier besprechen.

Die Pharmahersteller haben demnach nur geringes Vertrauen in die (LINK#Wirksamkeit von Antidepressiva)Wirksamkeit ihrer Medikamente.

Der von industrienahen Meinungsbildnern oft vorgebrachte Hinweis auf die schwierige Unterscheidung zwischen Placebo- und Antidepressiva-Wirkung[5] ist kein sinnvolles Argument: Ein zwar kleiner, aber doch zuverlässiger Effekt der Wirkstoffe wäre besser mit wenigen großen, multizentrischen Studien zu belegen als mit unzähligen kleinen Untersuchungen. Deren mehrheitliches Scheitern bei im Schnitt mageren Resultaten hat dem Image dieser Medikamente zumindest in der informierten US-Öffentlichkeit nachhaltig geschadet.[6]

Inzwischen wurde zudem nachgewiesen, dass typische Prozeduren (regelmäßige Prüfarztbesuche) in Antidepressivastudien den gemessenen Placeboeffekt substanziell steigern.[7] Logische Konsequenz wäre die Änderung des allgemeinen Studiendesigns in Richtung praxisnäherer Untersuchungen. Derartige Studien lassen sich aber bisher nicht auffinden.[8]

Vermeidung von Direktvergleichen
Ein deutliches Zeichen für den Marketinghintergrund der Studienplanung ist der Mangel an Direktvergleichen bei modernen Antidepressiva. Da für die Wirkstoffe zwecks Zulassungserteilung lediglich ein Wirkvorteil gegenüber Scheinmedikament gezeigt werden muss, sind Vergleichsstudien zwischen einzelnen Antidepressiva die Ausnahme.[9] Das berührt zwar nicht direkt die hier besprochenen Qualitätsmängel von Placebovergleichen - es zeigt aber, dass die Studien nicht auf die realistische Erfassung der Wirksamkeit gerichtet sind. Nach der behördlichen Zulassung entscheidet dann die Pharmawerbung über die Verschreibungshäufigkeit eines Antidepressivums.[10]

Selektion von Patienten
Antidepressiva-Studien werden an ausgewählten Patientengruppen durchgeführt, die sich wesentlich von den späteren Einnehmern unterscheiden. Neun von zehn "echten" Patienten aus der Praxis wären von entsprechenden Medikamentenstudien ausgeschlossen worden.[11][12]

Das führt z.B. dazu, dass suizidale Patienten in der Regel nicht an Antidepressiva-Studien teilnehmen und die Wirkung moderner Antidepressiva auf die Selbstmordneigung unzureichend untersucht wurde.[13] Dennoch werben Meinungsführer für die Anwendung dieser Medikamente bei suizidgefährdeten Patienten[14] - obwohl neuere Daten eine klare Risikosteigerung durch Antidepressiva zeigen.[15]

Die Resultate von Antidepressiva-Studien sind bereits wegen der abweichenden Patientencharakteristika von äußerst fragwürdigem Wert für die Verordnungspraxis.
PhilRS
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Manipulationsformen: Benachteiligung von Placebo

Beitrag von PhilRS »

(Forts.) Manipulationsformen

1.2 Benachteiligung von Placebo
Eine wichtige Manipulationsform bei placebokontrollierten Antidepressiva-Studien ist die Benachteiligung des Scheinmedikaments. Die scheinbare positive Wirkung des Antidepressivums steigt, wenn die Wirkung von Placebo künstlich reduziert wird.

Placebo-Run-In
Bei einem Großteil der aktuellen Antidepressiva-Studien wird eine Placebo-Run-In-Phase vor die Aufteilung der Teilnehmer in die Placebo- und Verumgruppe geschaltet. Dabei sollen Patienten erkannt (und dann zumeist ausgeschlossen) werden, deren Symptome sich bereits durch Scheinmedikament bessern, die sogenannten Placebo-Responder. Ferner dienen solche Phasen auch zur Identifikation von Studienteilnehmern, die sich unzureichend an Einnahmevorschriften etc. halten. Diese Maßnahme wird damit begründet, dass durch den Ausschluss von Placebo-Respondern der Placeboeffekt in beiden Gruppen sinkt, d.h. die Messwerte weniger beeinflusst.

Es entsteht aber der Nachteil, dass das bereits infolge der (LINK#Selektion von Patienten)Ausschlusskriterien unrepräsentative Teilnehmerkollektiv noch kleiner und praxisferner wird. Selbst wenn das Run-In seinen Zweck erfüllte - die Studien können dann nur eine theoretische Differenz zwischen unter Sonderbedingungen gemessenen Placebo-/Verum-Effekten finden.

Inzwischen wurde aber sogar gezeigt, dass die Run-In-Phasen nicht einmal für die erwünschte Verringerung des Placebo-Effekts sorgen. Sie führen allerdings zu einer Steigerung der gemessenen Effektstärke.[16] Streng genommen ist dies ein Indiz gegen die Wirksamkeit moderner Antidepressiva, wenn die Ausschaltung von Placebo-Respondern nicht zu deutlicherer Überlegenheit des Verums führt: Da der Unterschied zu Scheinmedikament weiterhin gering bleibt, wird auch beim Verum v.a. der Placeboeffekt gemessen. Andere Maßnahmen zur Minimierung der Placebo-Wirkung bleiben ebenfalls erfolglos.[17]

Die Vorschaltung von Placebo-Run-In-Phasen führt demzufolge einerseits zu unrealistischeren Studienresultaten, andererseits zu überhöhten Messwerten - ohne den Placebo-Effekt zu verringern.

Placebo-Wash-Out
Ein Placebo-Wash-Out ist eine Studienphase, in der alle Teilnehmer Scheinmedikament erhalten. Sie soll zur Beseitigung des Einflusses wirksamer Medikamente auf die Datenerhebung dienen. Gelegentlich wird auch die anfängliche Placebophase so bezeichnet, wenn sie ein "Auswaschen" vorher eingenommer Stoffe bewirken soll.[18]

Problematisch ist so eine Phase dann, wenn nach einer Verum-Einnahme alle Teilnehmer auf Placebo umgestellt werden und die durch das Absetzen verursachte Verschlechterung im Resultat dem Placebo angelastet wird. Selbst Suizide bzw. Suizidversuche sind so schon von Antidepressiva auf Placebo "verschoben" worden.[19]

Antidepressiva-Studien mit derartiger Methodik sind prinzipbedingt unzuverlässig und abzulehnen - schon wegen der Häufigkeit von Entzugserscheinungen nach Absetzen moderner Antidepressiva. Nichtsdestotrotz dienen sie den Herstellern an entscheidenden Punkten als Argumente: Ein Beispiel ist die einzige publizierte Bupropion-Zulassungsstudie[20], ähnlich gelagert war auch die wegen verschwiegener Firmenbeziehungen diskreditierte "JAMA-Skandalstudie" zum Absetzen von Paroxetin in der Schwangerschaft.[21]

Zur Benachteiligung von Placebo gehört im Prinzip auch die Entblindung, die wegen ihrer Bedeutung unten gesondert beschrieben wird.
PhilRS
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Manipulationsformen: Entblindung

Beitrag von PhilRS »

(Forts.) Manipulationsformen

1.3 Entblindung

Wird dem Prüfarzt oder dem Studienteilnehmer bekannt, ob der Patient zur Verum- oder Placebogruppe gehört, so spricht man von Entblindung. Die Studie ist dann nicht mehr doppelblind, und das Ergebnis wird zu Gunsten des Wirkstoffs oder zu Ungunsten des Placebos verzerrt, da z.B. die Erwartung einer Wirkung die Wirkung selbst imitieren kann. Entblindung wird hier zu den Manipulationen gerechnet, da sie praktisch in allen aktuellen Antidepressivastudien in Kauf genommen wird (s. unten).

Die Entblindung durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) ist vermutlich in den meisten Wirksamkeitsstudien neuerer Antidepressiva der entscheidende Verzerrungsfaktor.[22] Da die Wirksamkeitsdifferenz zwischen Verum und Placebo typischerweise nur ca. 2 Punkte auf der HAMILTON-Skala ausmacht bzw. bis zu 90% des gemessenen Verumeffekts tatsächlich auf Placebowirkung beruhen,[23] reichen bereits relativ wenige entblindete Teilnehmer aus, um einen statistisch signifikanten Vorteil des Antidepressivums "nachzuweisen".

Entblindung durch UAW
Die älteren trizyklischen Antidepressiva haben so charakteristische Nebenwirkungen, dass die Patienten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit entblindet werden - bekannt sind v.a. die Mundtrockenheit und weitere Effekte, die ähnlich auch durch Atropin-artig wirkende Substanzen hervorgerufen werden. Um diese Entblindung zu vermeiden, wurde in manchen Trizyklika-Studien ein aktives Placebo verwendet, das ähnliche Nebenwirkungen verursacht. Der gemessene Verumeffekt lag in diesen Studien dann bei 0.00-0.34 HAMILTON-Punkten, d.h. bei Vermeidung der Entblindung durch UAW war praktisch keine Wirkung des Antidepressivums mehr nachweisbar.[24]

Die neueren Antdepressiva haben insgesamt nicht weniger Nebenwirkungen als die Trizyklika; sie haben andere, eher unspezifischere unerwünschte Wirkungen.[25] Die Verwendung Atropin-artiger Wirkstoffe als aktives Placebo würde das Studienresultat vermutlich zu Ungunsten des geprüften Medikaments verzerren, da Teilnehmer das Placebo fälschlich für das Verum halten könnten. Daher werden Wirksamkeitsstudien neuerer Antidepressiva in aller Regel mit inertem, d.h. völlig unwirksamem Placebo durchgeführt.
  • Beispiel:
  • Eine typische Wirksamkeitsstudie mit Duloxetin (CYMBALTA)[26]
  • Von 267 Patienten nehmen 139 inertes Placebo und 128 Duloxetin 60mg über 9 Wochen ein. Der HAMILTON-Punktwert sinkt unter Placebo im Schnitt um 8.29 Punkte (von 20.46 auf 12.17) und unter Duloxetin um 10.46 Punkte (von 20.33 auf 9.87).

    Das Prozedere während der Run-in-Phase wird nicht hinreichend beschrieben, und der Grund für die - entgegen der Aussage im restlichen Artikeltext - unterschiedliche Gruppengröße ist nicht angegeben. Das sind Indizien für statistische Manipulationen, auf jeden Fall Ausdruck intransparenten Umgangs mit den Daten durch die vom CYMBALTA-Hersteller Eli Lilly finanzierten Untersucher.
  • Der gemessene Wirkunterschied zwischen Placebo und Duloxetin beträgt 2.17 HAMILTON-Punkte, und Placebo repliziert 79,3% des Verumeffekts.
  • Es brechen dreimal soviele Duloxetin-Patienten die Studie wegen unerwünschter Wirkungen ab wie Placebo-Einnehmer (12,5% gegenüber 4,3%). Das Verum hat eindeutig mehr unerwünschte Wirkungen als Placebo.
  • Die Wirkdifferenz zu Placebo lässt sich durch Entblindung von 27 Patienten (21%) der Verumgruppe erklären, wenn für die Wirkung bei den entblindeten Teilnehmern der durchschnittliche Verumeffekt angenommen wird. Die wirkliche Effektstärke der Entblindung ist allerdings unbekannt, die Berechnung rein spekulativ. Die benötigte Entblindungsquote könnte real - mit jeweils guten Begründungen - zwischen 1/7 und 1/3 liegen.
  • Als Entblindungsursachen kommen also Nebenwirkungen in Frage, die entsprechend häufig sind und unter Duloxetin deutlich öfter vorkommen als unter Placebo. Das wären in diesem Fall Übelkeit mit 29,7% (Placebo 11,5%), Mundtrockenheit (23,4% vs. 6,5%) und Benommenheit (14,8% vs. 2,9% bei Placebo). Zu den Magen-Darm-Symptomen zählen noch Verstopfung (14,1% vs. 5,0%) und Anorexie (12,5% vs. 5,8%), so dass diese für Duloxetin charakteristischen Nebenwirkungen insgesamt bei etwa 1/3 der Patienten auftreten.
  • Die unerwünschten Wirkungen können eine Entblindung verursacht haben, die den gemessenen Placebo-Verum-Unterschied hinreichend erklären kann.
Vor Beginn einer Studie müssen die Teilnehmer über zu erwartende Nebenwirkungen aufgeklärt werden (Regel der so gen. Good Clinical Practice).[27] Somit wissen die Patienten, anhand welcher unerwünschten Arzneiwirkungen sie Placebo von Verum unterscheiden können. Sobald eine UAW sehr häufig ist, d.h. bei mehr als 10% der Anwender und signifikant häufiger als unter Placebo auftritt, besteht die reale Möglichkeit, dass das Resultat der Studie durch Entblindung bestimmt wird.

Gezielte Entblindung
Alle zulassungsrelevanten Wirksamkeitsstudien mit neueren Antidepressiva werden unter weitgehender finanzieller, organisatorischer und personeller Kontrolle der Hersteller durchgeführt. Außenstehende, unabhängige Instanzen haben nahezu keine Möglichkeit, die Durchführung der Studien und die Informationsflüsse zwischen Auftraggebern, Untersuchern und Patienten zu überprüfen. Vertraulichkeits- und Exklusivitätsklauseln sind bei Studienverträgen zwischen Firmen und Prüfärzten die Regel. Die Zulassungsbehörden akzeptieren die Studien dann im Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Untersucher. Nur im Ausnahmefall kommen grobe Manipulationen ans Licht.[28][29]

"Sollbruchstellen" sind die Randomisierung, d.h. die Zuordnung der Patienten zur Verum- oder Kontrollgruppe, und die mögliche, aber faktisch nicht nachweisbare gezielte Entblindung - die Information der Teilnehmer über die Gruppenzugehörigkeit. Die Gewissheit, kein wirksames Medikament zu erhalten, dürfte mindestens ähnlich starke Wirkung haben wie die Kenntnis von der Zuordnung zur Verumgruppe. Da die Glaubwürdigkeit von Antidepressiva-Studien und damit im Extremfall die Zulassung eines Medikaments auf dem Spiel steht, sind Informationen über gezielte Entblindung extrem selten.[30]

Die Entblindung von Studienteilnehmern wird bei aktuellen Antidepressiva-Studien billigend in Kauf genommen. Sie kann die gemessenen Unterschiede zwischen untersuchtem Wirkstoff und Placebo hinreichend erklären. Absichtliche Entblindung in Folge des finanziellen Interesses der Hersteller ist vorstellbar, aber fast nie nachzuweisen.
PhilRS
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UPDATE März 2007: Fortschritte bei ADFD.wissen einsehen

Beitrag von PhilRS »

Statusmeldung:

Der Gesamtartikel geht seiner Vollendung entgegen. Die jeweils aktuellste Version ist ab sofort in ADFD.wissen unter Manipulation bei Antidepressiva-Studien zu finden.

Momentan sind ca. 80% fertiggestellt. Wichtig: Es gibt jetzt schon fast alle Quellen. Die nicht mit wird bearbeitet gekennzeichneten Absätze sind komplett und weitgehend fehlerbereinigt. Außer kleineren Erweiterungen und Gliederungssachen kommt noch der - recht wichtige - Statistik-Teil, der aber so knapp und pointiert wie möglich sein sollte, um es nicht noch aufgeblähter und unverständlicher zu machen.

Bei Darstellungs- oder anderen Problemen mit der jetzt fast 60kB großen Seite bitte ins Forum, eine PN oder am besten auf die Diskussionsseite zum Artikel schreiben.

:group: DANKE für Eure Unterstützung auf verschiedenen Kanälen und ganz besonderen Dank an CloneX für die Instandsetzung von ADFD.wissen. So kommen wir in Kürze zur wahrscheinlich besten Darstellung dieses Problems überhaupt - nach meinen Recherchen gibt es Vergleichbares bisher nicht nur nicht auf Deutsch, sondern auch nicht in englischer Sprache und in keinem Fachartikel.

Liebe Grüße
Euer
-PhilRS.
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